Einblicke in die schwedische Elementarpädagogik
Unter zwei Blickwinkeln betrachten Dr. Axel Jansa und Doris Breuer schwedische Elementarpädagogik: Sie informieren über die Entwicklung des schwedischen Bildungssystems und beschreiben sie am Beispiel einer ungewöhnlichen Förskola in Stockholm.
Ihre Darstellung des Bildungssystems fußt auf Literaturrecherchen und einem Gespräch mit Prof. Dr. Mats Ekholm. Die Berichte über Stella Nova basieren auf Besuchen in den Jahren 2004 und 2006, einem Gespräch mit Nevelle Harper und Anitha Eckberg sowie den Ergebnissen einer Langzeitstudie über Stella Nova.
Der folgende Beitrag widmet sich den Grundlagen der Arbeit bei Stella Nova. Teil 2, der im nächsten Heft erscheint, geht auf den pädagogischen Alltag der Einrichtung ein.
Das Laboratorium Stella Nova: Reggio-inspiriert und multikulturell arbeiten
Die Kindertagesstätte Stella Nova liegt im Stadtteil Hallonbergen, im Parterre eines Plattenbaus. Sie hat derzeit 107 Kindern in fünf Gruppen für Ein- bis Sechsjährige aus 30 Nationen, die 25 verschiedene Sprachen sprechen. Die größte Gruppe kommt aus Eritrea und spricht Tigrinya. Nur 10 Prozent der Kinder sprechen Schwedisch als Muttersprache. Mehr als 40 Prozent stammen aus muslimischen Elternhäusern.
Auch in Stockholm gibt es Stadtteile, in denen viele Bewohner die Landessprache kaum sprechen. Infolgedessen kann man sich Sprach- und Verständigungsprobleme vorstellen, Ausgrenzung, mangelnde soziale Anpassung und die Marginalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen. Das schwedische Bildungsministerium stellt Sondermittel zur Verfügung, damit Migrantenkinder gezielt in ihrer Muttersprache unterrichtet werden können und sich Schwedisch erfolgreich als Zweitsprache verankern kann. Doch Vieles deutet darauf hin, dass solche Ansätze auch in Schweden als flächendeckende Lösungen scheitern. In Stella Nova ist man ratlos, wie diese Sondermittel adäquat verwendet werden sollen.
Die OECD-Studie Starting Strong II weist auf die fundamentale Bedeutung frühkindlichen Spracherwerbs hin und sieht in den »100 Sprachen« der Reggio-Pädagogik das Potenzial dafür, Migrantenkindern ein kindgerechteres und erfolgreicheres Hineinwachsen in die jeweilige Landessprache zu ermöglichen, als es Schulungen und Übungen können. Ausdrücklich bezieht sich die OECD-Studie auf den Zwischenbericht zu einer Langzeitstudie über Stella Nova, die deren Erfolgsfaktoren ergründete. Was sich dabei ergab, ist zunächst einmal nicht neu, sondern aus vielen Diskussionen über Sprachförderung bekannt: Jedes Kind wird ernst genommen und fühlt sich wertgeschätzt; seine Familie ist willkommen. Die verschiedenen Kulturen und Herkunftssprachen werden zwar geschätzt, aber wichtig ist, die gemeinsame Landessprache im Alltag so zu benutzen, dass die Kinder sich mit ihr als selbstwirksam erfahren können. Im Folgenden wollen wir die Besonderheiten von Stella Nova darstellen, die den Erfolg der Einrichtung erklären.
Die Strukturen: Privatisiert und unkonventionell arbeiten
Stella Nova wurde nach 1990 privatisiert, um der Schließung zu entgehen. Seit dieser Zeit leitet Nevelle Harper die Kindertagesstätte. Er ist in pädagogischen Kreisen eine bekannte Größe und meint, dass er als Australier in der schwedischen Pädagogik gewisse Freiheiten zum Hinterfragen und Ausprobieren genießt. Sehr gute Kontakte verbinden ihn mit Reggio, er ist von der Reggio-Pädagogik überzeugt. Unbekümmert holt er sich, was ihm für Stella Nova von Nutzen erscheint. Seine Tagesstätte gehörte zum Netzwerk des Stockholm-Projekts »Pädagogik in einer sich verändernden Welt«, das entstand, als Reggio in die schwedische Elementarpädagogik einzog.
Das Konzept und der Erfolg seiner Einrichtung locken wöchentlich Besucher nach Hallonbergen. Offenheit, Partizipation, selbstbestimmtes Lernen, Vielfalt, Kommunikation und Werte wie Freundschaft und Freude sind die Prinzipien der Arbeit.
Für jedes Kind zahlt die Kommune einen für alle Einrichtungen festgesetzten Betrag, mit dem die Kitas selbstständig wirtschaften können und müssen. Für Wirtschaftlichkeit sorgen maximale Belegung und ein guter Ruf.
Die Gruppengrößen sind flexibel. Weil die Gruppen altershomogen nach den Geburtsdaten zusammengesetzt sind, richtet sich die Kinderzahl nicht nach einem festgelegten Erzieherschlüssel, sondern variiert mit den Anmeldungen. »Das Leben ist nicht fair«, sagt der Leiter dazu.
Das pädagogische Team besteht aus 22 Vollzeit- und zehn Teilzeitkräften, die die Öffnungszeiten von 6.30 bis 18.00 Uhr abdecken. Vertretungs-Überstunden leisten diejenigen, die die wenigsten Überstunden angehäuft haben. Auch ehemalige Eltern arbeiten mit.
Dass die Hälfte des Personals pädagogisch nicht ausgebildet ist, findet Nevelle Harper nicht nur unproblematisch, sondern er sieht darin sogar eine Chance. Die teilweise identische Ausbildung von Lehrerinnen und Erzieherinnen betrachtet er mit Skepsis und wählt seine Mitarbeiterinnen eher nach der persönlichen statt nach der formalen Qualifikation aus. Spitzengehälter kann er nicht zahlen.
Kontakt
Doris Breuer und Dr. Axel Jansa arbeiten an der Fachschule für Sozialpädagogik des Pestalozzi-Fröbel-Hauses in Berlin und unternahmen in den vergangenen Jahren Studienreisen zu Kindertageseinrichtungen in Italien, England und Schweden.
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Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/07 lesen.