Begriffe versenken war gut. Aber was sagen wir stattdessen? – Gerlinde Lill macht Vorschläge.
Unter diesem Slogan reitet ein Cowboy in den Sonnenuntergang – er ist frei, weil er ... raucht.
Abenteuer verspricht heute vor allem der Konsum, »Erlebnisshopping« genannt. Element der freien Marktwirtschaft, in der freie Konsumenten sich im Kauf und Verkauf frei entfalten, die freie Wahl haben in der Freiheit des Angebots. Was für ein Abenteuer!
Wo die Neoliberalen im freien Spiel der Kräfte die beste aller Gesellschaften feiern, beginnt das Abenteuer Überleben: Der Stärkere setzt sich durch, wie im wilden Westen, wo das Faustrecht der Freiheit herrschte.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – eine revolutionäre Parole, die überkommene Machtstrukturen hinwegfegte und durch neue ersetzte: Freie Bürger mit der freien Verfügung über ihr Eigen-tum und der doppelten Freiheit der Lohnarbeiter. Marx hat’s analysiert.
Freiheitskämpfer und Verteidiger der Freiheit – nicht immer ist klar, wer die »Guten« sind.
»Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit« hieß es früher in der BRD. Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden, gab Rosa Luxemburg uns mit. Und die CDU zog in den 60er Jahren (oder waren es die 50er?) des letzten Jahrhunderts mit der Parole »Freiheit oder Sozialismus« gegen die SPD in den bundesdeutschen Wahlkampf.
Gerade ist mir ein Büchlein von 1893 in die Hände gefallen. Sein Titel: »Ist der Mensch frei?« Ein gewisser Renard philosophiert über den Zusammenhang zwischen Individuum und Gesellschaft. Das haben viele Philosophen vor und nach ihm getan. Und die Freiheit wurde fast so oft besungen wie die Liebe – schmalzig, schnulzig und mit Pathos.
Freiheit – ein großes Wort, arg strapaziert. George Bush nimmt es für seine kriegstreiberische Politik genauso in Anspruch wie jeder Terrorist.
Also, was jetzt? Eignet sich Freiheit überhaupt zum Verschenken? Ist das Wort nicht schon so durchgekaut und missbraucht, dass von seinem Inhalt nichts mehr übrig bleibt? Soll ich es lieber verstecken, versenken, vergessen? – Nein, kommt nicht in Frage.
Freiheit von ...
Freiheit bleibt ein Schatzwort für mich. Denn es meint so viele wunderbare Dinge, die das Leben lebenswert machen, die es zu verteidigen und zu erobern gilt. Wenn wir seinen Kern wiederentdecken und die sozialen Zusammenhänge nicht aus den Augen verlieren. Wenn wir von den großen Fragen der Welt zu den Fragen des eigenen Lebens zurückkehren.
Perikles hat gesagt: »Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.« Das gefällt mir. Mal sehen, was mir einfällt, wenn ich »frei« denke...
Welches persönliche Glück, welche eigenen Geschichten verbinde ich mit Freiheit?
Freiraum, freiwillig, die Gedanken sind frei, freimütig sagen, was ich denke, mich frei entfalten, mich frei machen von Zwängen, Deutungshoheit über das eigene Leben gewinnen, mich frei entscheiden, die Wahl haben, unabhängig sein, freie Hand haben, Ideen freien Lauf lassen, Freigeist, Freiheitsliebe, Freibeuter, frei wie ein Vogel, vogelfrei, Freiwild... Upps!
Da haben wir sie wieder, die Kehrseite der Medaille: Freiheit birgt auch Gefahren, geht auf Kosten von Sicherheit. Soziale Netze reißen, gewohnte Pfade werden verlassen. In der Hoffnung auf ... keineswegs nur Abenteuer.
Menschen wandern aus, wagen sich ins Ungewisse auf der Suche nach einem besseren Leben – früher wie heute. Und riskieren, zu scheitern. Sie wagen etwas, weil sie sich im Bleiben sicher scheitern sehen. Sie sind mutig, weil sie keinen anderen Ausweg sehen.
»Etwas besseres als den Tod finden wir überall«, sagten sich die Bremer Stadtmusikanten und machten sich auf die Wanderschaft. Sie taten sich zusammen, entdeckten verschüttete Kompetenzen und fanden gemeinsam ihr Glück.
Sich befreien und zu neuen Ufern aufbrechen heißt auch: Sich frei machen von Zwängen, Verpflichtungen, Erwartungsdruck. Im Extrem: Sich nicht binden, keine Verantwortung übernehmen, nichts besitzen. Frei von allem, was soziales Zusammenleben ausmacht, nichts zu verlieren haben. »Freedom is just another word for nothing left to lose...«, sang Janis Joplin. Das Lebensgefühl einer ganzen Generation drückte sich darin aus. Alles hinter sich lassen, die verstaubten Ansichten und Lebensformen der Eltern, autoritäre Muster und Rollendiktate.
»Weg mit…« war Kern neuer Gesellschaftsideen. Doch: Was statt dessen?
»Die Mauer muss weg« – ein Slogan, in dem sich der Ruf nach Freiheit bündelte: Meinungsfreiheit, Wahlfreiheit, Bewegungsfreiheit. Auch diese Freiheitsbewegung hatte die Loslösung von jeder sozialen Verantwortung nicht im Sinn.
»Wir sind das Volk« – wir verlangen die Freiheit zur Gestaltung unseres Lebens. Darin steckt die zukunftsweisende Seite der Medaille: Die Freiheit von ... birgt die Chance der Freiheit für…
Freiheit für...
Freiheit steht eben nicht automatisch im Gegensatz zu sozialer Gebundenheit. Sie erschöpft sich nicht in Ellbogenfreiheit und Konsum. Persönliches Wohlbefinden braucht individuelle Entfaltung, soziale Zugehörigkeit und die Erfahrung von Sinn.
Wenn wir die Freiheit des Individuums nicht als Individualismus interpretieren, sondern als Chance zum Handeln, zur Übernahme von Verantwortung, erleben wir uns als wichtig. Finden wir Mitstreiter, mischen uns ein und gestalten die Welt, erleben wir die Aufregung und Freude gemeinsamen Tuns. Wir hinterlassen Spuren, selbst wenn nicht alles gelingt.
Das sind meine persönlichen Freiheit- und Glückserfahrungen.
Zugleich löst der Begriff Freiheit widersprüchliche Gedanken in mir aus: So froh ich bin, dass ich einen Rahmen hatte, die mir ermöglichte, Rollenmuster zu durchbrechen und neue Wege zu gehen, so sehr widerstrebt mir dieser Rahmen mit seiner Ideologie des »Jeder ist seines Glückes Schmied« – und wer kein Glück hat, ist selber schuld.
Freiheit als Verlust sozialer Sicherheit und Verzicht auf soziale Verantwortung ist nicht mein Ziel. Ich möchte dazu beitragen, Freiheitsräume für individuelle Entfaltung zu schaffen, die Lust und Mut machen, sich zu solidarisieren und zu engagieren. Das bedeutet in meinem Wirkungsfeld: Entscheidungsfreiheit, Selbstbestimmungsrechte, Beteiligung von Kindern zu sichern, damit sie an ihren Erfahrungen wachsen können. Ich möchte an der Macht der Erwachsenen sägen, an der Selbstverständlichkeit, mit der sie ausgeübt wird, selbst wenn sie sich hinter Begriffen wie Partizipation und Selbstbildung versteckt.
Die Schwierigkeit von Pädagogen und Eltern besteht darin, eine Balance zu finden zwischen der Anpassung an gegebene Strukturen (und damit deren Verfestigung) und der Pflicht, Eigensinn und Eigenart jedes Kindes wahrzunehmen und zu respektieren.
Die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist ein Bildungsziel. Soziale Verantwortung ebenfalls. Doch Autonomie und Solidarität können nicht gelehrt werden. Wie wir überhaupt inzwischen wissen, dass Bildung nicht »gemacht« werden kann. Bildung ist ein Abenteuer, ein offener Prozess, den wir zu verstehen versuchen, was schwierig ist, da wir uns alle in diesem Prozess befinden. Auch die Erwachsenen bewegen sich – je mehr sie sich dessen bewusst werden, desto rasanter. Nur wenn sie sich bewegen, erobern sie Freiräume. Pfadfinder, Sachensucher, Zu-Muter, Fehlermacher werden gebraucht auf der Suche nach Strukturen, in denen Freiheit und soziales Engagement »sich bilden« können.
Die Deutungen und Bedeutungen von Welt sind immer im Fluss. Was die Kinder und wir darüber denken, was wir gemeinsam und für uns selbst »konstruieren«, ist umso abenteuerlich-verlockender, je freier die Wege sind, die wir beschreiten.
Dann mal los...
Gerlinde Lill
www.efraimstochter.de
Freiheit und Abenteuer – eine lite-rarische Symbolfigur dafür ist wohl immer noch Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraims Tochter Langstrumpf, auch als Pippi Langstrumpf bekannt. Auf dieser Seite finden Sie umfangreiche Informationen zu der von Astrid Lindgren geschaffenen Figur.
www.mehr-freiheit.de
»Alles, was Sie schon immer über den klassischen Liberalismus wissen wollten, aber in den Massenmedien nicht finden konnten« – verspricht der Autor der Seite. Eine gute Gelegenheit, sich kritisch mit den Texten auseinander zu setzen.
www.bessereweltlinks.de
Über die Eingabe »Freiheit« oder »Abenteuer« finden Sie nicht alltägliche Links zu anregenden und niveauvollen Webseiten.
www.blindekuh.de
Interessante, kindgerechte Seiten zum Thema »Freiheit« finden Sie über die Suchmaske der blinden Kuh. .
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/07 lesen.