»Zur ewigen Lampe bei Robert und Erwin – Speisegaststätte und Kindertagesgroßpflege«.
Etwas irritiert bemerke ich auf dem Heimweg das neue Schild an der Eckkneipe.
Neue Geschäftsidee oder Kneipenhumor? Ein Termin mit Erwin Kaczmarek, einem der beiden Gastronomen, verspricht unerwartete Einblicke in eine neue Form der Kinderbetreuung.
Zwei Tage später sitze ich am blankgescheuerten, wuchtigen Holztresen und lasse mir das Konzept einer ungewöhnlichen, aber möglicherweise zukunftsträchtigen Form der Kinderbetreuung erklären.
Wie kommt man als Gaststättenbetreiber zur Tagespflege? Erwin erzählt: »Det Janze bejann, weil die Elke, die hier bei uns abwäscht, immer den kleenen Ronny dabei hatte. Wo soll ick?’n hin mit dem Kurzen, jibt doch keene Krippenplätze, hat se jesacht, und bei euch jeht?et ihm imma jut! Also kam der Ronny mit. Nach na Weile ham wir aba jemerkt, det der Ronny wen zum Spielen bräuchte, wat Gleichaltrijet. Da sachte der Robert: Ick hab doch ooch ‘nen Sohn mit der Blonden, wenn der dazukommt, sinds schon zweie.«
»Und dann kam euch die Idee, das Ganze professionell aufzuziehen…«, hake ich nach. Der Gastronom grinst: »Det lag uff der Hand. Morjens ist die Kneipe doch eh fast immer leer. Als in den Nachrichten azählt wurde, wie viel Jeld der Bund für neue Betreuungsplätze locker macht, wussten wa gleich, wie der Hase looft: Zusätzliche Einnahmen kann man imma jebrauchen. Und…« – Erwin blickt mich bedeutungsvoll an – »...det 100.000 Betreuungsplätze für die Kleenen in Deutschland fehlen, lässt mir ja ooch nich kalt. Da fühl ich glatt so wat wie Vaantwortung.« Er berichtet, wie er und Mitkneipier Robert sich entschlossen, zu handeln und zusätzlich zum Kneipenbetrieb, der ohnehin erst um 16 Uhr richtig in Betrieb kommt, Tagesbetreuung für Kleinkinder anzubieten.
Ist es nicht kompliziert, professionelle Kinderbetreuung zu etablieren, die auch vom Jugendamt akzeptiert und bezuschusst wird? Erwin schüttelt den Kopf. »Mit die Räume, det war keen Problem. Man sieht det ja bei die janzen Tagesmütter« – er lächelt verschämt – »ooch nich so vabissen. Die betreuen ja sogar in die Wohnstube! Außadem jelten für uns als Speisegaststätte ohnehin schon imma strenge Hygiene-Vorschriften. Zwar war die Sache mit dem Roochvabot hier drinne jewöhnungsbedürftich, aber det wär sowieso zum Jahresende jekommen...«
Und das pädagogische Knowhow, das man für den Umgang mit Kleinkindern braucht? Immerhin bestand die Zielgruppe der Speisegaststätte bisher doch ausschließlich aus Erwachsenen. Erwin nickt: »Ick musste natürlich zu so ?nem Schnell-Kurs, mit die andern Tagesmütter. Wie man die Kleenen wickelt und so. Und wir sollten uns übalegen, wie man Anjebote macht und wat man fürn pädagogischen Ansatz hat. Ick hab dann jesacht: Als Kneiper musste ick schon immer jute Anjebote machen, sonst wär ick nich übalebensfähich. Und von wegen Ansatz...« – Erwin streicht über seinen beeindruckenden Bauch – »... dit is ja wohl mehr als ‘n Ansatz, oda?« Wir lachen, und ich lasse die Atmosphäre der innovativen Betreuungseinrichtung auf mich wirken.
»Roobat, hab Duaast!« ruft der blonde Julius, einer der kleinen Besucher der unkonventionellen Tagesstätte. »Ich auch«, flüstert schüchtern ein bezopftes Mädchen. Robert reagiert sofort und ruft in die Durchreiche: »Siebenzwergesaft für Emma und Julius!«
»Und für dich noch ‘n Helles, Reini?« Der langhaarige Stammgast mit weißem Backenbart nickt, bevor er sich wieder ins Tolle-Torte-Spiel mit den beiden Dreijährigen vertieft.
»Anfangs, da mussten sich die Kleenen und die Jroßen natürlich aneinanda jewöhnen, det war klar«, sagt Erwin. »Da is schon mal eener von die schweren Jungs uff den Spiel-Flokati jetrabt, mit seine schmutzijen Schuhe.« Jetzt scheint es harmonisch abzulaufen, und ich frage Erwin, wie er diese angenehme Atmosphäre geschaffen hat. »Klare Rejeln sind dit A und O! Dann kommt jeder zu seine Bedürfnisse.«
In diesem Moment erleben wir ein Beispiel der konsequent beherzigten Arbeitsweise: Ein Wecker piept. »Stunde iss rum!« ruft Robert und geht zur Anlage, um die bisher lautstark abgespielte Wolfgang-Petri-CD durch Rolf Zuckowskis »Vogelhochzeit« zu ersetzen. »Jeder eene Stunde für seine Musik, dit war ausjemacht!« Begeistert hopsen die Kleinkinder zu den fröhlichen Klängen, die Stammgäste Reini und Schrödi markieren einen Partnertanz.
Die ersten Eltern sind mittlerweile zum Abholen erschienen. Natürlich lässt sich mancher noch von Erwin zu einem Feierabendbier überreden. »Keen Wunda, det wir hier keene Probleme mit die Elternarbeit haben«, erklärt Robert und klopft dem Vater von Shakira leutselig auf die Schulter.
Inzwischen haben sich Felices Mutter und Ronaldos Vater in den von Reini und Schrödi animierten Reigentanz eingereiht. Der kleine Miro, der nächste Woche »zur Injewöhnung« kommt, krabbelt, vergnügt »da-da« skandierend, hinterher.
Erwin betrachtet das heitere Spiel gerührt. »Wie eene jroße Familie. Logo, det die meisten Eltern ihre Kinda lieba in so'ner Tagespflege abjeben als in der seelenlosen Kinderkrippe.« Weil der greise Opa Meume gerade zur Tür hereingehumpelt kommt, ergänzt Erwin: »Wir sind sojar een Mehrjenerationenhaus, janz wie et det Familienministerium fordert! Noch Fragen?« Nein, ich bin restlos überzeugt.
»Ooch ‘n Helles, Kniefel?« Erwin grinst maliziös. »Oda stehste mehr uff Siebenzwergesaft?«
Achim Kniefel