Ein Besuch bei den Little Elitle
Im Supermarkt war’s. Vor mir erbat eine Mutter »Noch ‘ne Tüte, bitte«, während ihr etwa dreijähriger Sohn vom Einkaufswagen-Kindersitz aus sein »Will mein Beraschungsei!« durch den Kassenbereich skandierte. »Hans-Ansgar! Weeht pliehs!« Der so angesprochene Junior fixierte die Mutter mit trotzigem Blick aus klarblauen Augen und wiederholte drohend: »Will MEIN Beraschungsei!!!« Die Mutter reagierte scharf: »Mei dier frennd! Ei miehn it werrie, werrie Örnest!«
Während der Dreijährige sich brüllend auf den Boden warf und mit kleinen Fäusten auf den Fliesen herumhämmerte, sprach ich die Mutter zwecks Recherche an: »Über diese neue Lust an der Bilingualität wollte ich schon lange etwas schreiben.«
»Wollen Sie mal eine – nicht nur in dieser Hinsicht – experimentierfreudige Einrichtung kennen lernen? Dann besuchen Sie uns morgen in unserem Kindergarten ›Little Elitle‹. Ich bin übrigens die Doris«, verabschiedete sich die Mutter freundlich, die Papiertüte unter den rechten, den berserkerhaft wütenden Sohnemann unter den linken Arm geklemmt.
Es ist angenehm ruhig bei den »Little Elitle«. Die Besprechungscouch ist erfreulich sauber und sogar lederbezogen. »Man glaubt sicher kaum, dass wir vor fünf Jahren noch so ein typischer Öko-Kinderladen waren«, grinst mich Constanze Deuerle an, die als »parent’s speaker« des »Children’s Shop« fungiert. »Mit allem, was dazu gehört! Kochdienst, Putzdienst, ewigem Partnertausch innerhalb der Elterngruppe, Diskussionsmarathon... Irgendwann hatten wir dann genug davon. Wenn man mit Mitte Dreißig merkt, dass man vor lauter Diskutieren fast verpasst hat, die eigene Karriere zu starten, überlegt man sich schon, wie man es den eigenen Kindern leichter machen kann. Also wurde uns Eltern statt ökoveganer Ernährung wichtig, dass unsere Kinder genug Bildung mitkriegen, um später auf unsere mühsam begonnene Karriere aufbauen zu können. Damals hatten wir auch mit dem ersten Englisch-Kurs angefangen, schließlich ist das die Sprache der Zukunft in der immer globaleren Welt, in die die Kinder heute automatisch reinwachsen.«
Tom, der Vater von Göran und Sören und ehrenamtlicher PR-Manager der Einrichtung, ergänzt eifrig, wie es weiter ging. »Englisch schlug ein wie ‘ne Bombe. Bald wurde aus den zwei Stunden Kurs pro Woche ein bilinguales Konzept mit zwei Englisch-Muttersprachlern und zwei deutschen Peddagogicks, wie mir’s hier sage. Und damit das ganze nicht nur auf den Kita-Tag begrenzt ist, haben wir den denkwürdigen Elternabend gehabt, wo wir besprochen habe, dass immer ein Elternteil eine Woche lang...«
Constanze fällt ihm ins Wort: »... mit seinem Kind nur auf Englisch kommuniziert, und dann...«
»...wird in der nächsten Woche getauscht. Und jetzt ist Deddi wieder dran mit Inglischschwetze. Supper, gell?« Ich nicke freundlich zurück.
»Conschti, weischd noch? Wie mir es Young Economischd-Konzeptle erfunde habe?«
»Da muss ich ja weit ausholen, lieber Tom.«
Ich mache eine einladende Handbewegung.
»Zwei Jahre hatten wir schon bilingual gearbeitet, da passierte die Sache bei Bea. Beas Sohn Bertram hatte beim Abi im Englisch-Leistungskurs Sehr gut, war schon in Oxford immatrikuliert, um später als Junior in Bernhards Anwaltskanzlei einzusteigen. Da kam plötzlich der Absturz: Statt Oxford-Doktorhut trug der Knabe ’nen Irokesen, und statt Wirtschaftsanwalt ist er heute Sänger in einer Londoner Punk-Band!«
»Mit solche Tekschtle, des glaubscht net...«
»Tom, bitte keine Details. Bea war jedenfalls schockiert, was Bertram mit seinem Super-Englisch macht, und hat sich gefragt, ob das die Spätfolgen ihrer wilden Jugend sind, als sie den kleinen Bertram immer in The-Cure-Konzerte mitgenommen hat... Beim Elternplenum haben wir dann festgestellt, dass es einfach nicht ausreicht, nur durch Mehrsprachigkeit sicherzustellen, dass das Kind später mal berufliche Chancen hat in dieser verdammt globalisierten Welt heute.«
»Und da haben Sie dann ihr Konzeptle entwickelt?«
Tom nickt. Und greift in den Prospektschuber.
»Young Economist, das Bildungskonzept mit Lebenserfolgsgarantie« heißt die Hochglanzbroschüre. Constanze und Tom erläutern die Grundzüge des Konzepts: »Ähnlich wie für den Fremdsprachenerwerb befinden sich Kinder zwischen drei und sechs auch für wirtschaftliches Denken in einer hochsensiblen Phase. Bei der Untersuchung der Lebensläufe von einhundert erfolgreichen Wirtschaftsführern fanden Wissenschaftler der Universität Hohenstein heraus: Alle hatten sich schon als Kleinkinder spielerisch mit ökonomischen Fragen beschäftigt. Wer mit drei lernt, sich durchzusetzen und seinen Besitz zu mehren, hat später große Chancen auf einen Aufsichtsratposten. Umgekehrt gilt: Wer im Kleinkindalter keinerlei Basics wirtschaftlichen Denkens erwerben kann, hat später keinen Erfolg mit Börse und Co.«
Ich denke bitter an meine Kindergartenzeit zurück: Immer dieses Sozialgetue, und beim Kaufmannsladen gab’s nicht mal eine Kasse mit Spielgeld. Ist es ein Wunder, dass meine Fonds bei der Sparkasse ständig nur an Wert verlieren?
»Wir haben jedenfalls zusammen mit namhaften Wirtschaftsvertretern und Unternehmensberatern ein Curriculum entwickelt, wie man schon den Zwergen Wirtschafts-KnowHow vermitteln kann. Unsere Junior Students – denn ›Kinder‹ sagen wir nicht, das klingt so verniedlichend – lernen ganz spielerisch in einem bewusst realitätsnah gestalteten Setting, nach welchen Regeln dieser zunehmend globalere Globus funktioniert. Sie kriegen ganz natürlich mit, was es heißt, mitzuhalten, sich anzustrengen oder sich auch mal wieder hochrappeln zu müssen... Aber was rede ich mir den Mund fusslig«, sagt Constanze, »sehen wir uns das Ganze doch mal an! Gerade ist Play Time und danach Morning-Meeting!«
Ich schaue einem Kreisspiel zu und frage: »Was machen die Kinder gerade?«
Francoise, die Erzieherin, erklärt lächelnd: »Wir spielen ein echt klassisches Spiel: Trip to Yerusalem. Also für Sie...«
Ich überlege, ob man mir meine dürftigen Englischkenntnisse an der Nasenspitze ansieht.
»...Reise nach Jerusalem! Uralt, aber der Inhalt passt zu unserem Konzept: Beim Wettkampf um die freien Stühle verstehen die Kinder auch ohne Worte, dass unsere Gesellschaft für die allzu Langsamen leider keine Sitz- oder Arbeitsplätze reservieren kann.«
Hans-Ansgar, mein Bekannter aus dem Biosupermarkt, hat gerade die etwas ungelenke Emilia von ihrem sicher geglaubten Stuhl weggedrängt, wieder mit unnachahmlich kühlem Killerblick. Mit »Halt mal« – oder besser »Stop, please« – will ich eingreifen, aber Francoise legt mir beschwichtigend die Hand auf die Schulter: »Lassen Sie ihn. Hans-Ansgar hat eben früh verstanden, dass eine Unternehmerpersönlichkeit nicht immer rücksichtvoll agieren kann. Und Emilia tut es gut, wenn sie auf diese Weise herausgefordert wird, sich stärker durchzusetzen. Glauben Sie mir...«, und sie blickt mir tief ins Auge, »... mit dem ganzen Sozialgedöns von anno dazumal haben die Kinder in der modernen Welt keine Chance mehr.«
Später, beim Morning Meeting, wird es ernst: Betrübt sehen die Kinder zu, wie Robert, der Pedagogic Leader, auf der bunten, hölzernen Börsenleiter die lustige Daxi-Figur etwas nach unten verschiebt. Drei Punkte Verlust!
»Die Kinder verfolgen die Kursentwicklung genau«, erzählt Robert, »das ist für sie so spannend wie für andere die Fußball-EM.«
»Muss meine Mobiljenwerte vataufn!« ruft Sophie-Annkathrin aufgeregt, und später im Rollenspielraum zieht Jimi-Blue konsequente Folgerungen aus dem Kursverfall: »Leider muss iss drei Tinder vom Taufmannsladen tündigen, aus betrieblissen Dründen.«
Bekümmert verlassen zwei der spielenden Kinder den nun bald sanierten Holzobst-Einkaufsstand. Hans-Ansgar jedoch, einer der drei Betroffenen, nutzt die kurze Irritation, um blitzschnell alle Autos samt Verkehrsteppich in seinen Besitz zu bringen. Später wird er Jimi-Blue, der Lust auf Autospielen hat, eine Fusion von Holzobst-Business und Autoverleih nahe legen, natürlich unter der Führung von Hans-Ansgars »Kleine Autos und der gelbe Laster-AG«.
Die Zeit der »Special Offers«, anderswo oft »Angebote« genannt, beginnt, und mein Besuch neigt sich dem Ende zu. Schließlich sind viele der dort vermittelten Bildungsinhalte Insider-Wissen und sollen es auch bleiben. Ich erlebe gerade noch, wie Francoise die Gruppen einteilt, denn selbstverständlich wird bei den »Little Elitle« differenziert gearbeitet, je nach Interesse und Bildungsziel der Kinder.
»Hanna, Knut-Gustaf und Hans-Ansgar gehen jetzt zu ›Juristische Früherziehung‹, da geht’s heute spielerisch um Wirtschaftsstrafrecht! Peer-Walter, Frank-Wolfgang und Angela, ihr seid heute bei ›Mini-Minister‹ in der Regierungsecke! Verona, Otto, Jette und Franjo, ihr seid im ›Obere Zehntausend‹-Angebot! Also, für unseren Herrn Kniefel: Die haben Freispiel und dürfen über alle Spielzeuge verfügen. Und der Rest? Ihr seid leider heute bei ›Hartz-IV-Kids‹. Ab in die Küche, Abwaschen helfen!«
Achim Kniefel
www.anglizismenindex.de
Der Anglizismen-Index ist ein aktuelles Nachschlagewerk mit einer Auswahl deutscher Entsprechungen, die eine Alternative für diese Wörter sein können. Darüber hinaus werden Bedeutungserklärungen geboten und Wörter vorgeschlagen, die Anglizismen ersetzen und als ergänzend oder differenzierend gelten dürfen.
www.wiesagichsaufdeutsch.de
»Wie sag ich’s auf Deutsch?« Diese Frage können wir häufig spontan nicht beantworten. Denn oft haben sich bestimmte Ausdrücke durch mehrfaches Hören in unserem inneren Ohr derartig festgesetzt, dass wir uns kaum noch von ihnen lösen können. Wer den Versuch unternehmen möchte, die Anglizismen der Medien und der Werbung zu vermeiden, ist hier richtig.
www.aktionlebendigesdeutsch.de
Das Ziel dieser Aktion der »Stiftung Deutsche Sprache« ist, für unbefangenes Vertrauen in die eigene Muttersprache zu werben – wie es Engländern und Franzosen, Polen, Spaniern und Italienern selbstverständlich ist. Jeden Monat werden zwei Vorschläge präsentiert, welche griffigen und treffenden deutschen Wörter an die Stelle englischer Wörter treten können.