Als wir neulich im Garten alte Wurzeln ausgruben, stießen wir mit dem Spaten auf etwas Nachgiebiges, und es entpuppte sich als ein poröser, schwarzer Gummireifen. Er ließ sich jedoch nicht ohne Weiteres herausheben. Also weiter graben und schaufeln. Inzwischen hatten sich einige Schaulustige hinzugesellt, die uns mit lustigen Bemerkungen anspornten.
Nach und nach legten wir auch rostige Metallteile frei, die mit dem alten Reifen zusammenhingen. Wer weiß, wer ihn irgendwann verbuddelt hatte und weshalb...
In den Kriegszeiten vergruben viele Menschen ihre wertvollen Habseligkeiten in den Gärten. Einmal fanden wir eine Kiste mit alten Weinflaschen, deren Etiketten sogar noch lesbar waren. Der Wein war ein guter Jahrgang, trotzdem wollte niemand mehr kosten.
Die Grube wurde tiefer, der Sand an den Seiten häufelte sich, und plötzlich kam ein zweiter Reifen zum Vorschein. Ein Rotkehlchen war ebenso neugierig wie wir und hielt Ausschau nach Würmern oder anderem Krabbelgetier.
Was wird noch zu Tage treten? Knochen vielleicht? Eine Schatzkiste mit Münzen? Die Spannung nahm zu. Bevor sie unerträglich wurde, lüftete sich das Geheimnis, und eine alte Lambretta entwuchs der feuchten Erde. Wir rätselten. Wie lange mochte sie schon hier vergraben sein? Und wer tat so etwas? Wer wohnte früher hier, wer fuhr sie?
Das alte Gefährt stand nun da und wurde von allen begutachtet. Erinnerungen wurden ausgetauscht, und es erhob sich die Frage: Was machen wir nun mit dieser alten Dame? Wie ein Engerling hatte sie viele Jahre in der Erde zugebracht, war aber noch sehr gut erhalten. Verwunderlich! Regen, Frost und Erde hatte zwar ihre Haut verändert, jedoch nicht ihre Gestalt.
Wie lange brauchen Metalle eigentlich, bis sie verrottet sind? Röhren unter der Erde, Brückenpfeiler im Wasser, Autowracks, Schiffe und Maschinenparks, die nicht mehr genutzt werden – was rostet am schnellsten, was gar nicht? Chrom, Aluminium, Zink, Eisen, Nickel, edle oder unedle Metalle? Ich gestehe meine Unwissenheit. Dennoch faszinieren mich Verwitterungszustände und Korrosionsvorgänge, weil sie Farben und Strukturen hervorbringen. Ich erinnere mich an verrostete Schlüssel, Schlösser und Schrauben, an stillgelegte Gleise, auf denen wir als Kinder balancierten, an Hufeisen, Kochtöpfe und Beschläge an alten Türen. Ich wusste, wie Rost schmeckt und wie er sich anfühlt. Man konnte ihn abkratzen, abpulen, zwischen den Fingern reiben… Die Zeit nagte an diesen Dingen, brachte Veränderungen hervor und zeigte uns, dass alles vergänglich ist.
Noch immer bin ich auf der Suche nach Patina, nach Schichten, nach kleinen Bildern, die mich reizen, sie in Fotos festzuhalten oder auf die Leinwand zu übertragen. Meine Enkeltochter hilft mir dabei. Sie hat einen Blick entwickelt, den sie auch auf Naturgegenstände richtet: Eine Baumrinde, die schon lange im vermoderten Laub lag, hat eine interessante Innenseite mit vielen merkwürdigen Spuren, Kanälen und Gravuren. Eine Hausmauer, deren Putz bröckelt und Schichten der Geschichte zutage fördert. Ein Steinchen, das unendlich lange im Wasser ausharrte und einen neuen Sinn für sich entdeckte, als Algen und Salze sich auf ihm niederließen.
Die Lambretta schenkten wir übrigens einem Künstler, der mit Schrott und Rostteilen arbeitet. Er hat eine aufrecht stehende Skulptur kreiert, die in seinem Garten nun weiterhin der Veränderung durch Witterung ausgesetzt ist. Mit meiner Enkeltochter werde ich sie auf der Vernissage besuchen.
Dagmar Arzenbacher