Fördern, fördern, fördern – möglichst mehrsprachig, ganztags und von Anfang an. Beobachten, messen, überprüfen, dokumentieren…. Mir scheint, der Sport-Slogan »Höher, schneller, weiter« gilt inzwischen auch in Kitas. Doping haben wir schon: Ritalin, Antibiotika, Hustensäfte… Die Liste ist lang.
Manchmal wird mir allein vom Zugucken schwindelig, und ich wünsche mir, das Karussell anhalten zu können, auf dem Kinder und Erwachsene sitzen, damit sie zur Ruhe kommen.
Als ich Erika Bertholds Gespräch mit Kornelia Schneider und Norbert Huhn in Heft 3/13 las, erinnerte ich mich an Versuche mit dem Nichts. Ich denke, sie sind aktueller denn je.
Wer hatte noch das Glück, als Kind auf eigene Faust unterwegs zu sein? Mit freier Zeit und ohne bewacht, bespielt oder gefördert zu werden? Die Mehrheit der heutigen Eltern und Pädagoginnen kennt das nicht mehr aus eigener Erfahrung und staunt, wenn unser-eins davon erzählt: »Ja, ja, die gute alte Zeit.«
Ein Perspektivenwechsel im Rückgriff auf solche Erinnerungen wird schwieriger, wenn kaum noch welche vorhanden sind. Also muss ich woanders ansetzen, wenn ich das Karussell anhalten will. Beim Sinn und Nutzen des Nichts.
Unverplante Zeit – ein Traum?
Kinder werden heute mit Eindrücken, Informationen und Verlockungen zugeschüttet. Die neuen Medien bieten schier unendliche Möglichkeiten, Konsumversprechen und Shopping-Events locken.
Halt! Ich will nicht über Veränderungen jammern. Das bringt nichts und verstellt den Blick für das Wesentliche: Seit jeher geraten Kinder in eine Welt, die sie sich nicht ausgesucht haben, und diese Welt ist nicht nur erfreulich. Sie müssen sehen, wie sie in den Verhältnissen und mit den Menschen, von denen sie abhängig sind, zurechtkommen. Wunderbarerweise sind Kinder mit allen Kompetenzen ausgestattet, die sie dafür brauchen. Sie passen sich an, entwickeln die lebenswichtigen Fähigkeiten, nutzen, was sich bietet, und finden Wege, mit den Herausforderungen fertig zu werden. Manchmal passen sie sich nicht an – und gerade das ist vielleicht die angemessene Form, auf Zumutungen ihres Lebens zu reagieren. Auf jeden Fall ist es ihre Form.
Erlebe ich, wie Jugendliche kommunizieren, bin ich beeindruckt: Die Geschwindigkeit, in der sie reden, entspricht der Geschwindigkeit der Fingerbewegungen auf dem Handy. Beides kann ich nicht. Zum Glück muss ich auch nicht dauernd telefonieren. Das lernte ich übrigens, als es noch das schwere, schwarze Telefon mit Wählscheibe gab. Unseres hatte eine lange Schnur, die sich ständig verdrehte…
Das Telefon ist leichter geworden, die Lebensumstände haben sich verändert – wie könnte es anders sein. Freilaufende Kinder kommen im öffentlichen Raum kaum noch vor. Kindheit heute ist institutionalisiert und wird von Erwachsenen organisiert. Auch das können Kinder sich nicht aussuchen. Aber wenn es schon so ist, könnte wenigstens der Ort, der ausdrücklich für sie geschaffen ist, nämlich die Kita, so viel Wohlbefinden und ungestörte Lebensfreude bieten, wie möglich. Das setzt voraus, dass die Verantwortlichen darin ihre Hauptaufgabe sehen, weil sie wissen, dass Bildung ein individueller Prozess ist, der umso erfolgreicher verläuft, je mehr die eigenen Interessen anerkannt und unterstützt werden. Wenn sie dafür sorgen, dass sich jedes Kind entlang des eigenen »Bildungsplanes« entfalten und in Ruhe entwickeln kann, ist viel gewonnen.
In Ruhe – das ist das Stichwort. Mein Eindruck ist: Ruhe, um sich im eigenen Tempo entwickeln zu können, wird den Kindern immer seltener gegönnt. Ich frage mich: Wie passt das, was Pädagoginnen sich als Förderung ausdenken, zu den Lebensäußerungen und Wünschen der Kinder? Spielen sie überhaupt eine Rolle?
Wir wissen: Kinder kommen mit einem Bündel von Kompetenzen auf die Welt und sind ständig dabei, sie anzuwenden und auszubauen. Statt ihnen dafür Zeit und Gelegenheit zu verschaffen, ist die Lebenszeit der Kinder in der Kita so verplant wie ihr räumliches Umfeld, gern »vorbereitete Umgebung« genannt. Kindern bleibt wenig Raum, der nicht schon von Erwachsenen vorgedacht wurde. Zeit zum Nichtstun und Vertrödeln – und damit Zeit zum Verarbeiten – ebenso wenig. Den guten pädagogischen Absichten können die Kinder nicht entkommen. Oder doch?
www.ladenfuernichts.de
Den »Laden für Nichts« gibt es in Leipzig seit 1998. Hinter diesem technisch und logistisch aufwändigen Projekt steht die Idee, die mit dem Laden verbundene Szene zu transferieren und den Laden als soziales Ereignis in Strukturen innerhalb des Kunstfeldes implantieren zu können. Bloß »nichts« anklicken.
www.archiv-des-nichts.de
Kling absurd: ein Archiv, das »Nichts« archiviert. Doch das Archiv enthält die unterschiedlichen Fragen und Blickwinkel der Kulturen auf das Nichts und verwandte Bereiche wie Null, Leere, Stille oder Nichtstun – gesammelt und systematisch archiviert. Jeder kann seine Gedanken, Visionen, Utopien, Konzepte und Arbeiten zum »Nichts« einbringen und unter der Vielfalt der Beiträge vielleicht »Etwas« finden. Anfang 2006 wurde das Archiv erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Seit dieser Zeit steht es der Öffentlichkeit in Galerien, Kunstvereinen, Museen und in Räumen öffentlicher Institutionen zur Verfügung.
www.garnichts.net
Kennen Sie diese Momente, in denen Sie gar nichts vermissen? Dann sind Sie auf dieser Seite richtig, denn hier können Sie gar nichts kaufen! Vielleicht sollte es auch im Kindergarten die »Gar nichts«-Ecke geben. In der Grundschule könnte mal »gar nichts« auf dem Lehr- oder Stundenplan steht – getreu dem Motto: Stell dir vor, es gibt nichts, und alle gehen hin.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/13 lesen.