Interaktionsgestaltung in lebenslangen BildungsprozessenInteraktionen zwischen Fachkräften und Kindern sind aktuell ein bedeutender und kontrovers diskutierter Forschungsgegenstand. In Betrifft KINDER 10/2015 haben wir dazu den Beitrag »Pädagogische Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern« von Heike Wadepohl veröffentlicht. Die Wissenschaftlerin Regina Remsperger beleuchtet das Thema aus einem anderen Blickwinkel.
Dass die Beziehungsgestaltung ein wesentliches Qualitätsmerkmal ist, um frühkindliche Bildungsprozesse zu unterstützen, ist in der Kindheitspädagogik unbestritten. Welche Rolle aber spielt die Gestaltung von Interaktionen in lebenslangen Bildungsprozessen?
Lassen Sie uns zunächst auf uns selbst schauen. Sicher kennen Sie die Situation, dass Sie Arbeitskollegen, die Freundin oder der Partner fragen: Hast du mal einen Augenblick Zeit für mich? Wir fragen das, weil uns womöglich etwas besonders interessiert, weil uns etwas auf der Seele brennt, das wir schnell besprechen müssen, oder weil wir vielleicht etwas entdeckt haben, das wir unbedingt mitteilen wollen.
Entscheidend ist in einem solchen Moment die unmittelbare Reaktion unseres Gegenübers. Bekommen wir eine knappe Antwort? Vielleicht auch gar keine Reaktion? Oder nimmt sich die Person, der wir so dringend etwas mitteilen möchten, die Zeit, uns aufmerksam zuzuhören und unsere Gedanken nicht nur zu teilen, sondern vielleicht auch weiterzubringen? Wie die Reaktion auch ausfällt: Sie wird sich darauf auswirken, wie wir in diesem Moment mit dem für uns so wichtigen Thema weiter umgehen. Nichts anderes passiert auch bei Kindern, wenn sie sich im Alltag in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen mit ihren Signalen und Äußerungen an uns wenden. Jedoch – mit dem wichtigen Unterschied – dass wir ihre Bildungsprozesse in solchen Augenblicken viel entscheidender beeinflussen, als es womöglich bei Interaktionen unter Erwachsenen der Fall ist.
Die Gestaltung von Beziehungen zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern ist deshalb »als Grundstein für alle Lern- und Bildungsprozesse von Kindern«1 unmittelbar mit der Entwicklung von Qualität in der frühen Bildung verbunden. Mit der Ausweitung der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren rückte das Interaktionsgeschehen zwischen frühpädagogischen Fachkräften und Kindern immer stärker in den Fokus pädagogischer und entwicklungspsychologischer Forschung. WissenschaftlerInnen untersuchen die Auswirkungen von Beziehungsqualität2, das professionelle Handeln von pädagogischen Fachkräften3, die Interaktionsqualität in spezifischen Bildungsbereichen, wie z.B. Sprache4 oder die Gestaltung von Interaktionsgelegenheiten im pädagogischen Alltag5. Wadepohl und Mackowiak6 ermittelten die Qualität der Begleitung sowie der Planung und Durchführung von Bildungsangeboten in Freispielsituationen.
Auf die Ebenen Inhalt-Methodik, Emotion und Beziehungsgestaltung fokussierend stellten die ForscherInnen fest, dass die untersuchten Fachkräfte nur sehr selten »stressreduzierende und die Exploration unterstützende Impulse« einsetzten7. Darüber hinaus griffen die PädagogInnen organisatorische Anliegen der Kinder sehr viel häufiger auf als deren Bildungsanliegen. Da »die meisten kindlichen Anliegen im Bereich Bildung auftreten«8, stimmt dieses Resultat hinsichtlich eines angemessenen und bildungsbegleitenden Reagierens auf Kinder besonders nachdenklich.
Videostudien ermöglichen es, die Wechselwirkungen der Interaktionsprozesse zwischen FrühpädagogInnen und Kindern mikroanalytisch zu betrachten.9 In einer Studie zur Feinfühligkeit in der Fachkraft-Kind-Interaktion10 zeigte sich, dass Kinder sich insbesondere dann wiederholt, zusammenhängend und fortlaufend mitteilen, wenn sie an einer Sache sehr interessiert sind und wenn sie zugleich emotional stark beteiligt sind. Forschungsergebnisse belegen, dass Kinder durch feinfühlige, achtsame Reaktionen der Fachkräfte dazu angeregt werden, ihre Emotionen zu äußern, im Interaktionsverlauf interessiert bei der Sache zu bleiben, ihre Gedankengänge weiterzuentwickeln und in ihren inhaltlichen Aussagen komplexer zu werden. Dies geschieht vor allem dann, wenn die pädagogischen Fachkräfte eine beobachtende Haltung einnehmen und den Kindern viel Freiraum lassen, damit die Kinder den Interaktionsverlauf weitgehend selbst bestimmen und sich mitteilen können11.
Gerade weil wir inzwischen aufgrund gestiegener Forschungsaktivitäten mehr über ein bildungsförderliches Interaktionsgeschehen im Elementarbereich wissen, wird die Beziehungsgestaltung zu Kindern heute als »didaktisches Prinzip« in den Mittelpunkt gerückt12. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden gefragt:
- Wie sehen Bildungsprozesse von jungen Kindern eigentlich aus?
- Wie müssen Erwachsene Interaktionen mit Kindern gestalten, damit sie deren Bildungsprozesse unterstützen?
- Was können wir aus der Gestaltung dieser Interaktionen für die Prozesse eines lebenslangen Lernens ableiten?
1 Fröhlich-Gildhoff & Nentwig-Gesemann 2013, S. 7
2 Glüer, 2011; Schreyer-Mehlop et al., 2012
3 Jooß-Weinbach, 2012; Gutknecht, 2012
4 Fried 2013
5 Weltzien 2013
6 Wadepohl 2013, vgl. auch »Pädagogische Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern« in Betrifft KINDER 10/2015
7 ebd., S. 87
8 ebd., S. 106
9 vgl. u.a. König 2009
10 Remsperger 2011a
11 Remsperger 2011a, b
12 König 2010, S. 48 ff.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/15 lesen.