In Hamburg ist Deutschlands erste Remida entstanden – ein kreatives Recycling Centro nach dem Vorbild der italienischen Stadt Reggio Emilia. Vielfältige schöne Abfallmaterialien wecken dort die Kreativität und den Forscherdrang.
Gründerin Susanne Günsch berichtet von ihrer Werkstatt mit Aufforderungscharakter.
Remida und die Impulse fürs WerkstattLernen
Ein Workshop in der Remida in Hamburg. Eine Gruppe von vier Erzieherinnen spielt eine Stunde lang mit Rollenkernen aus Kunststoff. Die vier Frauen untersuchen die Eigenschaften, sortieren, prüfen Verbindungsmöglichkeiten, stapeln und bauen. So lustvoll und dynamisch gelingt es Erwachsenen selten, im Spiel zu versinken. Die eigene Lust am Wühlen bringt die Erzieherinnen wieder dazu, die Lust der Kinder nachzuempfinden. Die Remida bietet Impulse für eigene Erfahrungen statt Belehrungen in Form von Frontalunterricht – sowohl für Erwachsene als auch für Kinder.
Remida steht für die Idee, dass Materialien, die in Industrie, Handel, Handwerk und Gewerbe abfallen, wunderbare Ressourcen für kreativ-künstlerisches Arbeiten in sozialen Einrichtungen und in Kultureinrichtungen sind. Firmen überlassen der Remida ihre sauberen, ungiftigen Reste. Kitas, Schulen und Kulturprojekte suchen sich aus diesen Resten ungewöhnliche Materialien für ihre Arbeit mit Kindern aus: Folienstreifen, Papierabschnitte, Stanzbleche, Papprollen, Musterbücher mit Bodenbelägen, Stoffen und Fliesen, Rohrabschnitte, Verpackungen, Tauenden, Flaschen, Verschlüsse … und all die anderen skurrilen Dinge, die für den Container viel zu schade sind. Die Materialien werden anregend präsentiert und fordern zum Neuentdecken und Zweckentfremden heraus. Die Remida weckt das Bewusstsein für Materialreichtum – und bietet darüber hinaus Ausstellungen, Literatur, Workshops und Seminare. Sie steht für Kreativität, Bildung und Nachhaltigkeit.
Idee aus der Reggio-Pädagogik
Der Name Remida leitet sich ab aus »Midas«, einem König im alten Griechenland, unter dessen Händen alles zu Gold wurde und »RE« als Kürzel für Reggio/Emilia aber auch REcycling. Denn die Idee kommt aus Reggio Emilia, ei-ner Stadt in Norditalien mit der weltweit innovativsten Kleinkindpädagogik. Sie wurde dort 1996 als Umwelt- und Recyclingprojekt von der Kommune und dem regionalen Ver- und Entsorgungsunternehmen entwickelt. Inzwischen gibt es ein internationales Netzwerk aus Remidas in Italien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Australien … und Deutschland.
Die Remida in Hamburg ist die erste in Deutschland. Sie ist Projekt im Aktionsplan »Hamburg lernt Nachhaltigkeit« und wurde 2010 mit dem Altonaer Nachhaltigkeitspreis und 2012 sowie 2015 mit dem Werkstatt N-Qualitätssiegel des deutschen Nachhaltigkeitsrats ausgezeichnet.
Spielen und Lernen sind eins
Das was wir Erwachsene mit »Spielen« bezeichnen, ist für die Kinder Erforschen, Experimentieren, Konstruieren, Erfahren, Erkenntnisgewinn. Hochkonzentriert, ob allein oder mit anderen, Freude und Frust, harte Arbeit …, also hochkomplex, und doch so voller Lust und Leichtigkeit, dass wir dafür nur ein Wort finden.
Kinder lernen im Spiel. Sie unterscheiden nicht zwischen Spielen und Lernen. Was die Erwachsenen als sichtbare Lernergebnisse ausmachen, ist wie »die Spitze eines Eisbergs«. Vieles, was Kinder lernen, bleibt im Verborgenen und tritt erst später zutage.
Klaus Holzkamp, kritischer Psychologe (1937–1995), unterscheidet zwei Formen:
- Defensives Lernen: Das kennen die Erwachsenen aus der Schule und auch heute ist Schule vielfach so strukturiert. Es vollzieht sich in einem Instrumentalverhältnis zwischen Lehrer und Schüler, das gar nicht vorsieht, dass der Schüler klüger wird als der Lehrer. Die Grundlage dafür ist verinnerlichter Zwang. Man lernt für die Klausur, für die Prüfung und für später. Holzkamp sieht darin restriktive Handlungsfähigkeit.
- Die andere Form ist expansives Lernen: Gekennzeichnet durch Subjektbeziehung, also eine Begegnung auf Augenhöhe, zwischen Lehrer und Schülern. Es gibt ein wahrhaftiges Interesse am anderen. Lernen erfolgt aus Motivation, dem inneren Antrieb. Das heißt Lernen in Sinnzusammenhängen und nach dem eigenen Interesse. Das sorgt für erweiterte Handlungsfähigkeit.
Das Prinzip WerkstattLernen gehört, wie auch die Projektarbeit, zum expansiven Lernen. Es geht es darum, das Lernen zu lernen. Die Zugänge zu Themen sind individuell, ebenso der Erschließungsprozess. Kinder machen ihre eigenen Erfahrungen und gewinnen ihre eigenen Erkenntnisse.
Ziel ist, dass Kinder sich selbstständig Wissen erschließen und Zusammenhänge verstehen. Lernen in Projekten ist exemplarisches Lernen. Es geht um die Entwicklung eigener Lernstrategien. Lernen mit Herz, Hirn und Hand. Lernwege kann man nicht abkürzen. Umwege erhöhen die Ortskenntnis. Die Entwicklung der Kinder verläuft fließend, während mit Kita und Schule zwei verschiedene Institutionen aufeinander folgen und Brüche produzieren.
Susanne Günsch ist Erzieherin, Dipl. Sozialpädagogin, Fundraiserin und hat 2007 Deutschlands die erste Remida – das kreative Recycling Centro – gegründet. Sie arbeitet als freiberufliche Fortbildnerin im Bereich Reggiopädagogik, Offene Arbeit, Kreativität, Raumgestaltung, Dokumentation und Öffentlichkeitsarbeit.
Kontakt
www.remida.de
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/15 lesen.