Das HELLEUM – eine Lernwerkstatt für Kita- und Grundschulkinder
Im Kinderforscherzentrum HELLEUM wird Kindern nicht die Welt erklärt – stattdessen fordern Umgebung und Material sie dazu heraus, sich intensiv mit Naturphänomenen auseinanderzusetzen und diese aus eigenem Antrieb zu erkunden und zu hinterfragen. Hartmut Wedekind, Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter, stellt das Konzept des Kinderforscherzentrums vor.
Im Dezember 2012 wurde es eröffnet: Das Kinderforscherzentrum HELLEUM im Berliner Stadtbezirk Marzahn-Hellersdorf. Innerhalb von drei Jahren besuchten es rund 17.000 Kinder aus Kitas und Grundschulen und etwa 2.500 interessierte Erwachsene aus dem In- und Ausland. LehrerInnen und ErzieherInnen, die das HELLEUM mit Kindergruppen besucht haben, gaben zu über 90 Prozent an, dass sie Anregungen und Ideen aus den Workshops für ihre eigene pädagogische Arbeit mitnehmen, dass die Kinder ihre Erlebnisse und Erfahrungen im HELLEUM auch über den aktuellen Besuch hinaus reflektieren und nutzen und dass sie ihre Eindrücke mit KollegInnen austauschen1.
Folgende Alleinstellungsmerkmale des Kinderforscherzentrums könnten mögliche Gründe für das große Inte-resse sein: Das HELLEUM ist
- ein einmaliges naturwissenschaftliches Forscherzentrum für Kita- und Grundschulkinder, in dem sie in einer anregungsreichen Lernumgebung eigenständig und selbst verantwortet Entdeckungen und Erkundungen von Phänomenen durchführen können,
- ein Lernort, an dem Kinder wertschätzend und empathisch im Kontext von Lernwerkstattarbeit von PädagogInnen beim Erkunden der Welt begleitet und in einer freundlichen Atmosphäre unterstützt werden, ihre eigenen Lernwege zu gehen,
- in enger Abstimmung mit dem späteren Team und konsequent nach dem Konzept einer idealtypischen Lernwerkstatt entworfen worden. Die Lernwerkstattidee hat somit eine Materialisierung erfahren, die sich in der Raumgestaltung und der Flexibilität der Raumnutzung ausdrückt,
- ein Gemeinschaftsprojekt des Bezirksamts Marzahn-Hellersdorf, der Senatsschulverwaltung Berlin und der Alice Salomon Hochschule Berlin, das von allen Beteiligten unterstützt wird,
- ein Fortbildungsort für PädagogInnen, der es ihnen ermöglicht selbst entdeckend zu lernen, um die dabei gemachten Erfahrungen in die pädagogische Arbeit mit Kindern einfließen zu lassen,
- bewusst in einem sozialen Brennpunkt errichtet worden, um den dort wohnenden Kindern einen Zugang zur naturwissenschaftlichen Bildung zu ermöglichen, denen es nicht möglich ist, weit entfernte, andere außerschulische naturwissenschaftlich-technische Bildungsangebote wahrzunehmen.
Als Modell für wohnortnahe Zusammenarbeit von Bildungs-, Forschungs- und Wirtschaftsakteuren ist das HELLEUM 2013 in der Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung »Ideen für die Bildungsrepublik« ausgezeichnet worden. Die deutsche UNESCO-Kommission nahm im Jahr 2014 das HELLEUM als offizielles Projekt der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung auf.
Das Konzept
»Von der Sache aus denken, die die Sache der Kinder ist«2 ist ein wesentliches pädagogisches Arbeitsprinzip im HELLEUM, nach dem themenspezifische Lernumgebungen, vor allem aus Alltagsmaterialien bestehend, im Kontext von Lernwerkstattarbeit konzipiert, arrangiert und strukturiert werden. Bereits vor 100 Jahren hatten Evelyn und John Dewey folgende vier Grundbedürfnisse von Kindern beschrieben3, die im Konzept des Kinderforscherzentrums konsequent berücksichtigt werden. Es sind dies:
- das Bedürfnis, sich anderen Menschen mitzuteilen, Erfahrungen auszutauschen und sich zu verständigen (to communicate),
- sich kreativ zu betätigen und persönliche Empfindungen auszudrücken (to express),
- unbekannte Dinge zu untersuchen, Neues auszuprobieren und zu hinterfragen (to inquiere & to explore) und
- etwas zu tun, etwas herzustellen, zu bauen, mit Werkzeugen Werkstücke zu gestalten (to construct).
Dies führt dazu, dass die MitarbeiterInnen im Kinderforscherzentrum Lern-arrangements so konzipieren und begleiten, sie den Kindern Angebote zur Welterkundung unterbreiten und Kommunikations- und Handlungsräume bieten, die jedem Kind entsprechend seiner Bedürfnisse, Motive, Vorerfahrungen, Kenntnisse und Interessen einen individuellen »barrierefreien« Zugang zum jeweiligen Thema ermöglichen. Kinder erschließen sich damit selbstbestimmt und -gesteuert Wissen über die Welt, welches für sie eine individuelle Bedeutung hat bzw. bekommt und zugleich sinnvoll und sinnstiftend ist. Darüber hinaus tragen auch die qualifizierten LernbegleiterInnen dazu bei, die Kinder wertschätzend und im Sinne einer gemeinsam geteilten Erfahrung und eines gemeinsam geteilten Denkens4 beim Erkunden und Forschen begleiten. Das Team besteht aus abgeordneten Lehrkräften aus der Region, aus studentischen und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen der Alice Salomon Hochschule und aus einem Sozial- und einem Kindheitspädagogen, unterstützt durch PraktikantInnen und Freiwillige.
Eine zentrale Bedeutung kommt im HELLEUM der vorbereiteten Lernumgebung zu. Sie regt durch vielfältige, frei zugängliche, in der Regel aus Alltagsgegenständen bestehende Materialien zum kreativen, fragengenerierenden Handeln an und schafft damit eine »Please-touch-me-Atmosphäre«, in der die Hand über das Manipulieren und Explorieren mit den Materialien zum Denken anregt und damit zugleich die Möglichkeit eröffnet, sich enaktiv5 mit Sachverhalten auseinanderzusetzen.
Über das Begreifen von Dingen und Sachverhalten fördert sie das Verstehen und trägt zugleich dazu bei, das Verstandene wieder zurück in die Wirklichkeit fließen zu lassen, indem die Kinder bewusst und auf der Grundlage reflektierter Erfahrungen in der Regel zunehmend sachadäquat handeln.
Phänomene im Raum sollen den Lernenden individuelle Zugänge zum Erschließen derselben geben, Möglichkeiten des »dahinter kommen Wollens« schaffen und somit intrinsisch motivierte Lernprozesse anstoßen, die von den LernbegleiterInnen empathisch und wertschätzend sowohl als Zeugen des Geschehens als auch als Detektive und Mitforschende6 begleitet werden. Lernen im HELLEUM wird damit zu einem sehr persönlichen und interessengesteuerten Prozess, der nicht immer gleich mit einer Frage beginnt, sondern sehr oft über spielerisch-explorative Begegnung mit Dingen und Sachverhalten startet.
Dr. Hartmut Wedekind ist Professor für Frühpädagogik und -didaktik mit den Schwerpunkten Naturwissenschaften, Mathematik und Technik und wissenschaftlicher Leiter des Kinderforscherzentrums HELLEUM in Berlin Marzahn-Hellersdorf.
Kontakt
www.helleum-berlin.de
1 Evaluation der Arbeit des Kinderforscherzentrums HELLEUM im Frühjahr 2014 im Rahmen des Forschungsprojekts NaWiLT – Naturwissenschaftliches Lernen im Kinderforscherzentrum HELLEUM – Transferwirkung in die Region, www.ash-berlin.eu/forschung/forschungsprojekte/nawilt/
2 Wagenschein, Martin (2009): Naturphänomene sehen und verstehen. Genetische Lehrgänge. Lehrkunstdidaktik 4. hep. S. 47
3 Dewey, Evelyn&John (1915): Schools of To-Morrow. E. P. Dutton.
4 engl. sustained share thinking: Hopf, Michaela (2012): Sustained Shared Thinking im frühen naturwissenschaftlich-technischen Lernen. Waxmann.
5 vgl. Bruner, Jerome (1974): Entwurf einer Unterrichtstheorie. Berlin-Verlag.
6 vgl. Malaguzzi, Loris (1990): Tutto ha un om-bra meno le formiche. Reggio Emilia. S. 25 f.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 04/16 lesen.