Ein Langzeit-Test
Endlich ist es da: Das neue In-Ding aus dem Hause Papamama, auf das die Fachwelt gut ein Dreivierteljahr gewartet hat. Achim Kniefel, stets für Innovationen zu haben, hat keine Mühen gescheut, um zum Tester für Digital-Produkte zu werden. Ausgerüstet mit Hipsterbrille und angesagtem Vollbart hat er das neue Ding einem langanhaltenden Test unterworfen, um nun dem Leser Vorzüge und Nachteile dieses einzigartigen Produktes schildern zu können. Lesen Sie selbst!
Der erste Eindruck ist hinreißend: Nicht zu viel versprochen haben die Hersteller in Bezug auf das Äußere. Überall modern gerundete, angenehm weiche Optik und ausgesprochen klare Linien. Alle Bauteile, die wir von älteren Vorgängermodellen kennen, finden sich auch an dieser Version, nur wesentlich kleiner ausgeführt. Insbesondere in Bezug auf die Steuerung via intuitiver Gesten wurde vom Hersteller – einem Zusammenschluss der »Gods Works« mit der »Evolution Ltd« – nicht zu viel versprochen: Direkt nach einer Wischgeste über die feinen Sensor-Haare am oberen Gehäusedeckel startet das Ding mit prägnantem Aufschlag zweier himmelblauer Augen, wozu ein sanftes »Dada«-Geräusch ertönt – herrlich!
Allerdings irritiert bei näherer Untersuchung einiges: Hinter einer leicht zu öffnenden Abdeckung an der Unterseite des Dings tritt eine merkwürdige Flüssigkeit aus, die sich jedoch ohne Rückstände wieder entfernen lässt. Das bei Anlieferung angebrachte USB-Kabel erweist sich als völlig verkrumpelt, und so fest steckt es in der Nabel-Schnittstelle, dass es von einer Art Administratorin namens »Hebamme« zertrennt werden muss. Positiv fällt auf, dass sich das Ding alsbald selbsttätig eine geeignete Docking-Station (per GPS? Infrarot?) sucht, die es schließlich an der Vorderseite der Partnerin findet – bemerkenswert!
Die nächste Enttäuschung folgt aber sogleich: Wichtige Features, die dem Kunden versprochen wurden, müssen zusätzlich und sehr zeitaufwändig dazu geladen werden! So sind weder die Lauf-App »iWalk«, noch iTalk, die Sprach-App vorinstalliert. Die Mimik-App bietet nur wenige Features, die zudem vom Unterhaltungswert wenig überzeugen: Der Smile-Modus startet erst nach Wochen, während Sleep- und Staun-Modus sofort zu aktivieren sind. Regelrecht ärgerlich ist das Funktionieren der enthaltenen Alarmsignale – zum Beispiel bei »kritischem Abbruch der Milch-Ladesituation«, die aus einem unangenehmen Tonsignal in Mono-Qualität bestehen, das sich bis zum Brüll-Modus steigern kann.
Als unzuverlässig entpuppt sich die Gesichtserkennung, die etwa den Tester erst nach monatelangem Probieren erkennt, während dessen Partnerin paradoxerweise seit dem ersten Systemstart sicher erkannt wird. Auch die eingebaute Sprachförderung, die sich angeblich sogar durch Wahl eines eigenen Namens personalisieren lässt, verweigert ihren Dienst: Auf lautes »Sing ein Lied, Lea!« passiert erst gar nichts, um nach kurzem Anzeigen eines bildschirmfüllenden Verdutzt-Emoticons abermals in den Brüll-Modus zu schalten, wo sich das Ding für längere Zeit aufhängt.
Schon nach mehrjähriger Nutzung sieht die Sache ganz anders aus. Das Ding kann nun laufen, sprechen, Musik emittieren (leider bisher nur simple Stücke à la »Zehn kleine Zappelfinger«). Ärgerlich bleibt nur, dass diese Apps in einer Art Shuffle-Modus aktiviert werden – wünschenswert wäre aus Sicht des Testers eine zuverlässigere Möglichkeit der Fernsteuerung, insbesondere, um den gefürchteten »Böckchen-Modus« zu verhindern, dem weder Strg, Alt noch Entf Herr werden können.
Rundum zufrieden zeigt sich der Tester damit, wie leicht sich das Ding nun mit anderen Geräten vernetzen lässt, um innerhalb des Netzwerkes »Little Co Construkter« Daten sowie sogenannten »Interpretationen der Welt« auszutauschen. Teilweise gelingt das auch einer eigens programmierten Servereinheit »Erzieherin«, die auch eine Art Gerätewartung übernimmt, praktischerweise in der Zeit, in der dem Tester aufgrund der Berufstätigkeit dafür die Zeit fehlt.
Unerfreulich ist allerdings, dass es beim Vernetzen neben sinnvollen »Lerneffekten« bisweilen zu ärgerlichen Installationen von Schadsoftware kommt: etwa beim unbeabsichtigten Installieren des Sprachpakets »Schlechter Einfluss II« durch eine Netzwerkverbindung im Spiel-Modus mit Modell »Jeremy 6«. Hier hilft ein eigens heruntergeladenes Bereinigungsprogramm nur teilweise, wie plötzlich auftauchende Sprachsignale (»Alte Kackwurst!«) belegen.
Ein Systemupdate zur Programmversion »Grundschule 1.0« meistert das Ding zunächst spielend. Für Verdruss sorgt allerdings zunehmend ärgerliches Ruckeln in zentralen Lern-Prozessen: Nach Installation einer App »Little Piano Player« ertönen nur zögerlich Klänge, um bald für immer den Unlust-Modus anzuzeigen. Der zunächst als ausreichend betrachtete Speicherplatz erweist sich als zu klein für all die Programme, die meine Partnerin und ich gerne installieren möchten. So kommt es dazu, dass das Feature »Bruchrechnung« sich auch nach mehrtätigen Versuchen und Kontakt zum Support namens »Frau Lindemann« nicht installieren lässt. Von hier kommen ohnehin eher ärgerliche Hinweise wie, das Ding »für eine Weile einfach mal in Ruhe zu lassen«, statt »immer neuen Input zu geben« – unverständlich und zugleich kundenfeindlich! Gottlob finde ich im Forum User, die sich verständnisvoller und ideenreicher zeigen: »An deiner Stelle würde ich den Support wechseln!«, »Es ist allein deine eigene Entscheidung, wie viele Apps du auf dein Ding lädst!«. Das beherzige ich – und erfreue mich bald an einer zusätzlichen Fitness-, Ballett- und Geigenspiel-App, die auf mich wie mein Umfeld großen Eindruck macht. Obwohl das System manchmal dabei höchste Auslastung zeigt.
Uff, und dann passiert es doch noch – und alles ist aus! Beim Versuch, sich selbst per Update erweitere Funktionen und eine noch intelligentere Benutzeroberfläche zu verschaffen, hat sich mein Ding einen supergefährlichen Virus eingefangen – ausgerechnet den Mega-Trojaner »Puberty«! Was der bewirkt? Viel zu viel: Das Ding wird unendlich langsam und zeigt insbesondere beim morgendlichen Start erhebliche Schwierigkeiten, ins Dienstprogramm hochzufahren. Schuld daran ist unter anderem der Akku, der selbst nach Durchladen über ein Wochenende im Ruhezustand hinweg nicht vollständig auflädt!
Was soll man mit dem Ding jetzt noch anfangen? Völlig abgeschmiert ist die Sprachausgabe, seit die »fröhliche Plapper-Funktion« irreparabel ausfällt – zugunsten der App »iRülps«. Von den zahlreichen Lern-Apps funktioniert fast nichts mehr, nur noch die App »Von Wikipedia kopieren«. Stattdessen ploppen ab und an Sexseiten auf. Dem Versuch des Testers, das verdammte Ding wieder auf die Werkseinstellungen zurückzusetzen, um die ganze Sache wieder von vorne anzufangen, widersetzt sich dieses auf regelrecht renitente Weise. Liebe Leser, ich bin verzweifelt.
Achim Kniefel