Wie gut ist Ihr Teamklima? »Wir sind wie eine große Familie, die durch dick und dünn geht!«, strahlen manche. Nun gut: Große Familien kennt man von Omis Neunzigstem. Mit diesen alten, beleidigten Tanten, die immer alle dominieren wollen. Dem schusseligen Familienoberhaupt, das keiner ernst nähme, besäße er nicht das größte Portemonnaie.
Dem verlachten, verhuschten, niemals akzeptierten Schwiegersohn, der verzogenen und dem Laster verfallenen Nichte Jessica, Heini mit den schlüpfrigen Witzen und Mutti Renate, die jeden totquatscht, der nicht bei drei auf den Bäumen ist. Solch eine herrlich zerstrittene, verkrachte, unerträgliche Bande wollt Ihr auch sein? Dann beachtet fein die folgenden Ratschläge, die aus langweilen »Och, mir geht’s gut-Teammitgliedern« endlich das machen, was ja wohl jeder mal sein wollte: Darsteller in einer täglich turbulenten Vorabend-Soap!
Beachten Sie vorab: Ihr Arbeitsplatz befindet sich im sozialen Bereich. Früher bedeutete »sozial« etwas ziemlich Ödes: Immer nett sein und die Schokolade gerecht aufteilen. Immer fragen, wie es dem anderen geht, und bei »Nicht so gut« nicht genervt die Augen rollen. Heute wird »sozial« zum Glück anders definiert – dank »sozialer Netzwerke«. An deren Umgangston können Sie sich verhaltensmäßig orientieren: Einfach mal ungeniert und ohne langes Abwägen seine Meinung posten. Einzelne Kolleginnen blocken. Herrliche Fake-News verbreiten. Untergruppen bilden, zum Beispiel die »Wer findet auch, dass die dicke Dagmar das Team stört«-Gruppe.
Sorgen Sie für ein gutes Miteinander, indem Sie Teamregeln festlegen. Eine gute Regel wäre beispielsweise: Reden Sie nie in Abwesenheit einer dritten Person über diese! Wählen Sie stattdessen die höflichere Alternative und beziehen Sie die dritte Person ein, um umso ungenierter über die vierte – Leiterin Susi oder Leitungsstreberin Silvie – herzuziehen.
Erleichtern Sie sich, das baut Druck ab. Schon seit Kindertagen wissen Sie: Es gibt wenige Menschen, denen man alles so gut anvertrauen kann, wie die eigenen Eltern. Kein Problem, wenn dieses ältere, seit Kindertagen vertraute Pärchen die von Ihnen anvertrauten Themen – ungerechte Verteilung der Pausenzeiten, berechtigte Kritik an Frisur und Piercing der neuen Kollegin – irgendwann nicht mehr hören mag: Ihnen stehen in Bring- und Abholsituation gleich 40 bis 50 neue Elternteile zur Verfügung, um Ihre Ansichten und Informationen aufzunehmen! Machen Sie jedoch davon frühzeitig Gebrauch, denn bedenken Sie: Die anderen Kolleginnen könnten Ihnen zuvorkommen.
Begreifen Sie überhaupt Offenheit und Ehrlichkeit als Basis für ein gutes Teamklima. Stehen Sie zu Ihrer Meinung, bereichern Sie mit Ihrem Wissen Ihr Team. Zum Beispiel jetzt gerade, im vertrauten Gespräch mit der Chefin: »Offen gesagt, wenn Sie meine ehrliche Meinung wissen wollen: Meiner Ansicht nach sollte Silvie dringend rausfliegen! Ich weiß da Sachen über die …« Aber natürlich müssen Sie die gleiche Offenheit auch Ihrer Kollegin gegenüber beweisen, auch wenn das hart sein kann: »Silvie, willst du meine ehrliche offene Meinung hören? Ich glaub, die Chefin ist in irgendwelche Intrigen gegen dich verstrickt – schlimm!«
Aber übertreiben Sie das mit der Offenheit nicht – wegen der dramaturgischen Spannung. Wie bei Sonntagabend-Krimi und erster Liebe lebt auch das Teamklima aus dem richtigen Mix aus Vorahnung und zarten Andeutungen. Bereichern Sie Kollegenrunden durch häppchenweise dargebotenes Geheimwissen über einzelne Teammitglieder, sorgen Sie als gute Pädagogin für Rätselspaß, indem sie raunen: »Man sagt, einzelne Kolleginnen – ich nenne keine Namen! – nehmen es mit der Dienstauffassung nicht allzu ernst, vorsichtig gesprochen. Ich könnte da, offen gesprochen, Dinge berichten – aber Ihr versteht: Kollegialität ist mir wichtig, selbst wenn es um Betti ... – äh, betreffende Kolleginnen geht …«
Ernten auch Sie manchmal – zum Glück unberechtigte – Kritik? Regen Sie sich nicht immer gleich auf, um eingeschnappt zu kontern, was Sie dann sofort wieder zutiefst bereuen! Echtes Beleidigtsein sollte sich dem angesagten Konzept der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlen: Was ich heute tue, hat auch noch in zwanzig, dreißig Jahren Wirkung. Erfahrene Mitglieder starker Teams wissen um diesen Schatz, den sie durch alle Zeitläufte hindurch sorgsam hegen und pflegen: »Ich soll mit Dagmar zum Spielplatz laufen?«, sprechen Sie brüskiert, »die mich vor versammelter Mannschaft angemotzt hat, am 11. Februar 1972? Never!«
Erkennen Sie – wie alle erfolgreichen Teams – die Unterschiedlichkeit Ihrer Mitglieder als Chance. Gerade Zweierteams tut es gut, wenn man sich ergänzt, statt überall gleich zu sein. Le-ben Sie Ihre Unterschiede aus: Helga kann gut Regeln einfordern, und Holgi fällt es leicht, fünfe grade sein zu lassen. Gaby sorgt mit leiser, tiefer Stimme für Ruhe, dafür kann Herta mit lauter, schriller Stimme aus dem Nichts Chaos erschaffen. Michaela gelingt es, morgens als Erste da zu sein. Sarah fällt das schwer – aber dafür ist sie nachmittags als Erste weg!
Tragen Sie, wenn möglich, Konflikte niemals offen vor den Kindern aus! Wenn es aber passiert, dann erklären Sie den Kindern daran, wie Konflikte entstehen können. Damit sie miterleben können, dass auch Erwachsene sich manchmal im Ton vergreifen – wie Birgit! –, auch nicht immer Recht haben – wieder wie Birgit!! – trotzdem ganz schön bockig sein können – abermals wie Birgit!!! –, aber die Klügere zum Glück manchmal nachgibt – wie Sie! – und die dementsprechend Dümmere schon noch merken wird, was sie (Birgit!!!!) davon hat.
Holen Sie sich professionelle Unterstützung, wenn Sie mal beim Thema Mobbing nicht weiterkommen. Haben Sie keine Angst vor dem Ich-Botschaften-Vereinbarungs-Onkel, der mit roten eckigen und gelben runden Kärtchen die Moderationswand bepinnt, denn die folgende Regel stimmt doch immer: »Nickt der Teamcoach interessiert, mobbt sich’s doppelt ungeniert!« Nicken auch Sie interessiert bei seinem Satz: »Wir verabreden hiermit, dass alles Gesagte hier in diesem Raum bleibt« – und starten Ihre gehirneigene Sprachnotizfunktion. Man kann doch alles irgendwo weiterverwenden!
Selbstbewusste Teams zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Mitglieder fähig sind, zu den eigenen Stärken und Schwächen zu stehen. Zeigen auch Sie in passenden Momenten, was Ihre Persönlichkeit ausmacht, indem Sie ehrlich zu eigenen Schwächen stehen (»Ich fühle mich einfach so unsicher beim Müllrausbringen, deswegen brauche ich da Hilfe!«), aber gehen Sie auch offen mit Ihren Stärken um: »Habt ihr ein Glück, Kinder, dass ihr ausgerechnet bei der nettesten Erzieherin im Kindergarten seid!«
Jedoch ist auch Demut angebracht. Wer von sich denkt, eine unersetzbare Rolle im Team zu spielen, überschätzt sich und die eigenen Kräfte und beweist den Kolleginnen Missachtung. Zeigen Sie Ihren Kollegen, dass Sie nicht unentbehrlich sind: Indem Sie nächsten Montag, wo es immer so stressig ist, fehlen. Außerdem beim langen Donnerstag mit den Elterngesprächen in Ihrer Gruppe und auf jedem Fall bei diesem verdammten Sommerfest. Sitzen Sie stattdessen im Garten, im Fernsehsessel oder auf Menorca und freuen sich, dass Ihr Team jetzt begreift: Auch ohne die Monika geht die Welt nicht unter.
Zuletzt: So gut Ihr Team auch ist – nichts bleibt bis in alle Ewigkeit. Haben Sie keine Angst vor dem Neuen. Gehen Sie offen und gradlinig darauf zu, sehen ihm mutig ins Gesicht. Und sprechen: »Wenn du denkst, Neuer, dass sich hier irgendwas ändert, weil du jetzt bei uns arbeitest – vergiss es.« Und weiter geht’s, wie stets.
Achim Kniefel