Zu Besuch in einer ausgezeichneten Kita
»Wer, wenn nicht ihr, hat den Kita-Preis verdient! Bewerbt Euch dafür!«, hatte eine Mutter dem Team der menschenskinder-berlin gGmbH empfohlen, als sie von der Ausschreibung hörte. Und tatsächlich errang das Team von 16 PädagogInnen und fünf Auszubildenden für ihre Arbeit im Mai diesen Jahres einen 2. Platz des Deutschen Kita-Preises. Barbara Leitner besuchte die Kita in Berlin-Friedrichshain.
»Ich schlage Ihnen vor, Sie gehen zunächst zum Morgenkreis«, begrüßt mich Eva Messlin, die Leiterin der Kita Menschenskinder in einem provisorischen Container, der in dem riesigen Garten der Einrichtung steht. Unser Weg führt uns vorbei an mit Sonnenplanen überspannten selbstgebauten Tischen, entlang an beweglichen Zäunen, mit denen der noch nicht ganz fertig sanierte Spielplatz verschlossen oder freigegeben wird, sowie an einem üppig grünen Garten, der gemeinsam mit Eltern und Nachbarn angelegt wurde und wo Obst und Gemüse angebaut wird. Beim Morgenkreis angekommen, haben sich schon fast alle Kinder der Kita unter den Bäumen versammelt.
Drei Überraschungen
Wie in einer Arena sitzen die 34 Kinder zusammen. Einige sitzen auf Bänken oder auf dem Schoß einer Erzieherin oder eines Erziehers. Andere haben sich auf die aufeinander gestapelten, bearbeiteten Euro-Paletten gesetzt. Ich bin das erste Mal überrascht: Obwohl es eine Weile dauert, bis jemand die Kinder begrüßt, herrscht eine ruhige, entspannte Atmosphäre, so als ist den Kindern bewusst: Das ist unser Kreis. Hier geht es um uns. Und gleich die zweite Überraschung: Fünf von den sieben betreuenden Erwachsenen in der Runde sind Männer. Die Kita kommt auf einen Anteil an Erziehern von 38 Prozent. Bundesweit liegt hier der Männeranteil gerade mal bei fünf. Da wo ein Mann ist, kommen andere dazu, erklärt das die Leiterin.
Drei Erzieher stimmen ein Morgenlied an und spielen dazu Gitarre, Melodica und Cajon (eine Kiste zum Trommeln). Ein Lied, das mit seinem Rhythmus sofort die Kindergemeinschaft ergreift. Nach den Vorschlägen der Kinder werden gemeinsam Strophen angefügt: dass man den Tag auch streicheln, pfeifen und tanzen kann. Immer mehr Kinder springen, hüpfen und drehen sich daraufhin zu der Melodie im Kreis. Und dann die dritte Überraschung: Die Kinder wollen auch »ihr« Lied singen. Es ist an die Bauarbeiter hinter dem Bauzaun adressiert. Kinder und ErzieherInnen haben es gemeinsam nach dem Vorbild der nordischen Beschwerdechöre ausgedacht, wo Protest in Musik verwandelt wird. »Warum dauert das so lange?«, singen die Kinder. Seit zwei Jahren wird ihre Kita modernisiert und jetzt warten Kinder und ErzieherInnen schon ein halbes Jahr länger als geplant auf den Umzug in das saniertes Haus. Sie müssen immer noch, wie es im Lied heißt, mit dem kalten und engen Container Vorlieb nehmen. »Das ist gemein!«, dröhnt es über die Wiese und mich ergreift eine Ahnung, welche Kraft darin steckt, Kinder darin zu unterstützen, sich mit alldem, was sie denken und fühlen, auszudrücken.
Konfliktlösung mit Respekt
Der Morgenkreis ist beendet. Da höre ich laute Worte und ein Schluchzen. Zwei Jungen haben einen Streit miteinander. So schnell wie er aufloderte, stehen hinter jedem der beiden Fünfjährigen je ein Erzieher, zugewandt und warmherzig. Sie wenden sich und hören den Jungen zu. Noch ehe ich eine Ahnung bekomme, worum es in dem Streit ging, ist wieder Frieden eingekehrt. Ich bekomme eine Gänsehaut: So einfach kann es gehen, jedem Akzeptanz zu geben oder wie es auch die Jury des Kita-Preis-Ausscheids gesehen hat: »Das gesamte Team lebt authentisch vor, wie respektvoll miteinander umgegangen wird, was sich auf die Beziehung zwischen den Kindern und ihren Familien auswirkt«.
Oliver Broz, einer der Erzieher, kam vor 18 Jahren als erster männlicher Pädagoge in das Team. Er erklärt mir, dass einige Kinder mit geringer Toleranzschwelle in die Kita kommen. Sie streiten schnell und ecken damit bei den anderen Kindern und den Erwachsenen an. Dadurch geraten sie jedoch noch tiefer in einen Frustkreislauf. Deshalb, so der 43-Jährige, lässt das Pädagogenteam sich nicht auf ein »Schuld-Ding« ein, sondern hört vor allem erst einmal zu. So helfen sie jedem Kind mit seiner Perspektive umzugehen und auch mit der des anderen. Das ist für mich ein Zeichen für Qualität in der Kita und ich will erfahren, wie das Team dahin kam und wie es ihm gelingt, diese zugewandte Ausgeglichenheit im Alltag zu leben.
Fürsorge für die ErzieherInnen
In dem dunklen Container steige ich mit Eva Messlin die knarrende Treppe hinauf in den ersten Stock, in dem die Geschäftsführerin Manuela Stuhlsatz ihr enges Büro hat. Die 56-Jährige gründete vor 20 Jahren die menschenskinder-berlin gGmbH. Damals suchte sie eine Kinderbetreuung für die eigenen Kinder und konnte sich für die Angebote in ihrem Umfeld nicht erwärmen. »Vor allem vom Herz her muss es stimmen«, unterstreicht die Geschäftsführerin ihren Anspruch. Eltern vertrauen den ErzieherInnen ihr Liebstes an. Sie wollen, dass es über den Tag gut betreut und zufrieden ist. Manuela Stuhlsatz will das mit ihrem Unternehmen garantieren und organisiert ihre beiden Kitas nach diesem Prinzip. Schnell fand sie Menschen, die mit Begeisterung ihren Anspruch teilten. Auch heute wird neues Personal daran gemessen, ob es sich auf die Bedürfnisse der Kinder ausrichtet und sie entsprechend begleitet. Die Geschäftsführerin hört auf ihren Bauch und die Meinung des gesamten Teams, ehe sie mit ihm gemeinsam entscheidet, ob jemand – nach Gespräch und Probearbeiten – zukünftig ins Kollektiv der Kita passt.
Ein Film über die Kita kann angeschaut werden unter:
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/18 lesen.