Wertschätzende Kommunikation mit Kindern
Menschen sind unterschiedlich und genau so agieren, handeln und kommunizieren sie. Und doch zeigt sich in der Interaktions- und Beziehungsgestaltung von Erwachsenen mit Kindern häufig eine Form der Kommunikation, die umgekehrt von Kindern mit Erwachsenen undenkbar wäre. Die Erziehungswissenschaftlerin Caroline Ali-Tani sensibilisiert für diese Machtungleichheit in Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen.
Kinder sollen sich nicht streiten. Sie sollen in ganzen Sätzen sprechen, »Bitte« und »Danke« sagen. Sie sollen beim Essen stillsitzen, Messer und Gabel, aber keine Schimpfwörter benutzen, nicht herumtoben und die Spielsachen nicht liegenlassen ... Nicht selten ist ihr Alltag von Reglementierungen und Zurechtweisungen geprägt. Das Heranführen an Regeln, Normen und Werte liegt in der Verantwortung der Erwachsenen. Dies ist auf der einen Seiten ein wesentlicher Bestandteil auf dem Weg eigenständig zu werden und sich im gesellschaftlichen Kontext zurechtzufinden und deshalb keineswegs grundsätzlich falsch. Leider fällt auf der anderen Seite auf, dass Vieles, was wir von Kindern erwarten, nicht authentisch vorgelebt wird und im Gegensatz zu einem respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander steht. Zu Hause als auch in der Kita.
Mit den folgenden Beispielen aus unterschiedlichen Einrichtungen möchte ich zeigen, wie sehr eine machtungleiche Kommunikation – bei aller Verschiedenheit der Beteiligten – die Interaktionen mit Kindern prägt.
Wir alle kennen die oft an Kinder gestellte Forderung, in ganzen Sätzen zu sprechen, gleichzeitig erleben Kinder nicht selten, dass ihnen umgekehrt Verhaltensänderungen – ohne weitere Erläuterung – von Erwachsenen regelrecht befohlen werden, wie z.B. in dieser Morgensituation: Während des Frühstücks finden kaum Gespräche statt und die Kommunikation besteht hauptsächlich aus Ermahnungen seitens der Erzieherinnen. Ein Junge sagt, während er kaut: »Mjam, mjam, mjam!« Er wird sofort von der Erzieherin zurechtgewiesen: »Mund zu beim Essen!« Ein Mädchen kommt zum Frühstück hinzu und möchte kurz in ihr Freundschaftsbuch gucken, das sie gerade von einem anderen Mädchen zurückbekommen hat. Die Erzieherin interveniert jedoch und sagt: »Leg es weg! Frühstücken!«
In vielen weiteren von mir beobachteten Essenssituationen wurde auf ähnliche Weise »kommuniziert«: Beim Mittagessen sitzen zehn Kinder am Tisch und sind sehr unruhig, weshalb sie von einer der Erzieherinnen immer wieder ermahnt werden: »Hände auf die Beine!«, »Das Messer kommt rechts!« Ein Junge, der von seinem gebastelten Luftballon erzählen will und sich dabei auf seinem Stuhl vom Tisch wegdreht, wird von der Erzieherin mit den Worten »Die Füße unter den Tisch! Umdrehen!« am Arm gegriffen und zurück zum Tisch gedreht. Dann sagt sie: »Du hast den Mund voll!« Diese Umgangsweise scheint von beiden Seiten, d.h. sowohl seitens der Kinder als auch seitens der Erzieherinnen, als legitim zu gelten.
Die Erwachsenen sprechen aus einer gesicherten Machtposition heraus, die es ihnen ermöglicht, nicht die Umgangsformen einhalten zu müssen, an denen sie sich Erwachsenen gegenüber orientieren würden. Die Kinder wiederum befolgen die Anweisungen. Allerdings wahrscheinlich weniger aus eigener Einsicht, sondern vielmehr aus Angst vor Strafen oder Konsequenzen und vermutlich aus einem bereits verinnerlichten hierarchischen Rollenverständnis heraus.
Ein Kind würde somit wohl kaum auf den Gedanken kommen, einen Erwachsenen zu fragen: »Wie sprichst du eigentlich mit mir?« Kinder nehmen den Umgang ihnen gegenüber an und hinterfragen Forderungen an sie, wie zum Beispiel in folgender Situation, eher selten: Beim Essen herrscht eine unangenehme Stille und eine der Erzieherinnen legt immer wieder den Finger auf ihren Mund, um die Kinder zur Ruhe zu ermahnen. Auch weist sie mehrmals Kinder darauf hin, ihren Mund beim Essen zu schließen, ohne dies weiter zu erläutern. Schließlich sagt ein Junge, nachdem sie auch ihn wieder ermahnt hat, beim Essen den Mund zu schließen: »Aber ich mach zu Hause immer den Mund auf … weil der so klein ist!« Die Erzieherin guckt etwas abwertend erstaunt und erwidert daraufhin nur: »Sagt die Mama dazu nichts?«
Wer das Sagen hat ...
Hier wird deutlich, dass Regeln, wenn sie nicht erklärt werden, für Kinder oft unverständlich und nicht einleuchtend sind. Warum soll ich beim Essen den Mund zu machen, wenn er doch so klein ist und das Essen in den Mund hinein muss? Der Junge in diesem Beispiel versteht es nicht und versucht, mit der Erzieherin in den Dialog zu treten. Die Erzieherin fokussiert allerdings ausschließlich die Regel (»Mund-zu-beim-Essen«) und spürt nicht, dass der Junge eine Erklärung benötigt. Stattdessen sieht sie den Fehler bei der Mutter des Jungen bzw. hinterfragt erstaunt, ob die Mutter nicht darauf achtet.
Insbesondere in Essenssituationen wirkt die Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen oft sehr hierarchisch, wenn seitens der ErzieherInnen machtvoll bestimmte Essens- und Tischregeln umgesetzt werden, deren Sinn sich für die Kinder vielleicht nicht erschließt. Gerade dies sollte dazu veranlassen, nicht befehlsartig ein bestimmtes Verhalten oder Benehmen zu verlangen, und dieses dann immer wieder, möglicherweise unter der Androhung von Konsequenzen, sondern dialogisch erklärend mit den Kindern zu kommunizieren.
Auch in einer weiteren Kita bestand die Kommunikation während des Essens hauptsächlich aus Ermahnungen seitens der Erzieherinnen. Eine andere Art der Kommunikation schien auch nicht erwünscht, wie eine der Erzieherin durch den Tischspruch »Eins-zwei-drei – das Erzählen ist vorbei!« gleich zu Anfang deutlich machte: Als am Tisch Gespräche unter den Kindern beginnen, sagt sie: »Pscht!« und kurz darauf zu einem Jungen: »Ben! Du darfst jetzt essen und nicht den Tisch unterhalten!« Kurz darauf ermahnt sie ein Mädchen: »Mira! Nicht von der Messerspitze, sonst hörst du auf zu essen!« Zu Jonas sagt sie: »Jonas! Willst du in den Ne-benraum und da in Ruhe essen, wenn du nicht das Messer nimmst?« Den Effekt, den diese Umgangsweise auf die Kinder hat, ist der, dass zum einen die Erzieherin immer wieder dieselben Dinge ermahnt und immer drohender in Bezug auf die Konsequenzen wird, und zum anderen, dass die Kinder die Regeln nicht aus Einsicht befolgen, sondern nur aus Angst vor Konsequenzen. Das heißt, die Kinder lernen nicht, was richtig oder falsch ist, sondern empfinden Angst vor der machtvolleren Erzieherin, was Unterwürfigkeit und (situativen) Gehorsam zur Folge hat.1
Gleiche Regeln für alle
Dabei sind es oft nur wenige Worte, eine andere Betonung oder Mimik, die in einer ähnlichen Situation eine völlig andere Beziehung zwischen Kindern und ErzieherInnen bewirken, wie eine Beobachtung in einer anderen Kita zeigte: Als das Essen auf den Tisch kommt, fragt die Erzieherin Ulla die Kinder zunächst, was es denn heute zu Essen gibt. Die Kinder rufen: »Kartoffelbrei!« »Spinat!« »Spiegelei!« Daraufhin unterhalten sich alle über die unterschiedlichen Komponenten, zum Beispiel darüber, dass man zu Kartoffelbrei auch Kartoffelpüree oder Kartoffelstampf sagen kann. Ulla gibt den Kindern Impulse, indem sie fragt, was denn anders sei am Kartoffelbrei im Vergleich zu Kartoffeln und fragt dann: »Ist das jetzt Rührei oder Spiegelei?« Und: »Was ist denn anders?« Sie geht sehr interessiert auf die Kinder ein, die alle Ideen haben und gemeinsam das Essen »entdecken«.
Ulla wirkt hierbei nicht belehrend und vermittelt kein »falsch« oder »richtig«, sondern überlegt mit den Kindern gemeinsam. So verläuft die ganze Tischkommunikation. Ulla gibt keine Befehle, sondern spricht wertschätzend und erklärend mit den Kindern. Als ein Junge sein Messer ableckt, sagt sie: »Luka, bitte nicht das Messer ablecken«, und fragt dann in die Runde: »Wisst ihr auch warum?« Die Kinder überlegen daraufhin gemeinsam und erkennen, dass man sich dabei schneiden und wehtun kann. Ulla regt die Kinder durch Nachfragen immer wieder dazu an, Lösungen zu finden, Dinge zu verstehen oder etwas zu lernen. Sie sagt an alle gewandt: »Und was ich ganz schön fände: Wenn wir mit Messer und Gabel essen würden. Schaffen wir das?«
In dieser Situation wird deutlich, dass ein achtsamer und wertschätzender Umgang miteinander nicht bedeutet, den Kindern keine Regeln mehr aufzuerlegen, sondern dass die Art und Weise der Kommunikation entscheidend ist. Im Grunde genommen werden auch bei diesem Mittagessen wieder zwei Aspekte bzw. Tischregeln thematisiert: das Messer nicht in den Mund zu nehmen und mit Messer und Gabel zu essen.
Im Gegensatz zu vorherigen Beispielen jedoch, in denen Regeln als Befehle und unter Androhung von Konsequenzen formuliert wurden (»Sonst hörst du auf zu essen«), werden die Kinder hier dazu ermutigt, den Sinn hinter der Regel, in diesem Fall dem »Messer ablecken« zu verstehen. Den Kindern wird deutlich, dass die Erzieherin sie auf eine Gefahr aufmerksam machen will, sodass die Regel aus eigener Einsicht eingehalten wird. Auch in Bezug auf die Besteckbenutzung wird ein sehr feiner, aber bedeutsamer Unterschied deutlich. Die Erzieherin Ulla formuliert einen Wunsch oder eine Bitte, die sich an alle, d.h. sie miteinbezogen, richtet, was durch ihre Verwendung der »Wir-Form« deutlich wird. Anstatt einen Befehl an die Kinder zu richten, verwendet sie eine persönliche Sprache (»Was ich ganz schön fände.«) und macht die Tischkonvention zu einer gemeinsam zu bewältigenden Aufgabe (»Schaffen wir das?«).
Im Gegensatz zu anderen Essenssituationen, in denen von den ErzieherInnen immer wieder dieselben Dinge gefordert werden und dies in einer meist zunehmend strengeren Form, ist dies hier nicht notwendig: Die Erzieherin und die Kinder essen und kommunizieren als Gemeinschaft, was nicht nur durch die generelle wertschätzende, dialogische und interessierte Haltung der Erzieherin erreicht wird, sondern ebenso durch ihren authentischen Umgang mit Regeln, der bei den Kindern nicht das Gefühl hinterlässt, Erwachsene hätten durch ihre Machtposition Sonderrechte und Privilegien. Wie sich hier zeigt, bedarf es einer grundsätzlichen »positive Handlungssprache«2, damit sich eine Wirkung entfaltet und die sich dadurch auszeichnet, dass die Erzieherin die konkreten Handlungen anspricht und thematisiert, um die sie bittet, anstatt sie zu befehlen.
Lesen Sie in der kommenden Ausgabe von Betrifft KINDER die Fortsetzung dieses Beitrages: Wie sich hierarchische Kommunikation auf Kinder auswirkt.
Caroline Ali-Tani M.A. arbeitet als Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Paderborn im Arbeitsbereich »Inklusive Pädagogik« insbesondere zum Thema Inklusion, Partizipation und Vielfalt in Kindertagesstätten, vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung und Wahrnehmung von Vielfalt in der frühpädagogischen Praxis.
Kontakt
1 Vgl. Klein L. (2014): Regeln und Grenzen im Alltag. Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit. Seelze
2 Vgl. Rosenberg Marshall B. (2009): Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. Paderborn
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/18 lesen.