Mit Lerngeschichten wachsen
Von gegenseitiger Würdigung über die Idee eines uns tragenden Gewebes bis zum gemeinsam Wachsen: Lerngeschichten für die Teamentwicklung zu nutzen ist eine feine Sache! Ein Beitrag aus der Reihe »Mit Lerngeschichten wachsen« von Kornelia Schneider und Jutta Gruber.
Gute Beziehungen in einem Team leben von Vertrauen. Damit es wachsen kann, braucht es ein Klima von wechselseitigem Respekt, getragen durch die Anerkennung von Gleichwürdigkeit aller Teammitglieder. Eine solche Teamkultur scheint manchmal leichter gesagt als gemacht und ist doch – sowohl im Sinne der Selbstfürsorge als auch für unsere Aufgabe als Modell für die Kinder – höchst erstrebenswert. Am besten gelingt das mit einem ressourcenorientierten Blick. Er rückt die Stärken von Jeder und Jedem in den Vordergrund und heißt sie willkommen.
Hervorzuheben, was gut geht und erfreulich ist, statt darauf zu schauen, woran gearbeitet werden müsste, damit es besser wird, hat in unserer Kultur wenig Tradition. Deshalb macht es eine Menge Sinn, sich hin und wieder – und am besten mit dem gesamten Team – daran zu erinnern. Wir wissen ja längst, dass Lernen immer auf Kompetenzen aufbaut und nicht auf Defiziten. Deshalb müssen wir an etwas anknüpfen, was wir bereits können, wenn wir Neues ausprobieren und in unser Repertoire aufnehmen wollen. Das gilt für Kinder ebenso wie für uns Erwachsene.
Wenn ich wachsen und mich weiterentwickeln oder andere bei ihrer Entwicklung unterstützen möchte, ist es sinnvoller, bestehende Leistungen zu würdigen, statt auf Mängel zu schauen. Insbesondere die gegenseitige Würdigung spielt eine große Rolle. Von anderen wahrgenommen zu werden, wirkt sich stärkend auf das Selbstbewusstsein aus. Es bleibt uns mitunter ein Leben lang in Erinnerung. Falls Sie das noch nicht selbst erfahren haben, können Sie sich dem Thema in der nächsten Teamsitzung z.B. durch nebenstehende Erkundungsfragen nähern.
Ein anderer Weg zu mehr Achtsamkeit und gegenseitiger Würdigung im Team kann durch die Arbeit mit Lerngeschichten entstehen. Denn bei diesem pädagogischen Ansatz ist das Erkennen und Beschreiben von Stärken zentral. Im Grunde lassen wir uns, wenn wir Lerngeschichten von Kindern sehen und sie für die Kinder aufschreiben, von nichts anderem leiten, als vom Blick auf die Interessen und Stärken der Kinder und von der Frage, wie wir sie unterstützen können. Oft wird – insbesondere von Fachkräften, die noch nicht viel Erfahrung damit haben – die Frage gestellt, welche der vielen Beobachtungen, die sie im Laufe eines Tages machen, sich am besten für eine Lerngeschichte eignet. Die Antwort darauf ist einfach: Wählen Sie die aus, die Sie selbst am meisten berührt und feiern Sie das Kind dafür! Vertrauen Sie auf Ihr Gefühl und lassen Sie Ihrem Schreiben freien Lauf! Seien Sie sich bewusst, dass jede Lerngeschichte das Potenzial in sich trägt, einen jungen Menschen über Jahrzehnte hinaus zu stärken.
Immer wieder machen wir in der Arbeit mit Lerngeschichten die Erfahrung, dass allein schon das Erlebnis, sich wahrgenommen zu fühlen, Kinder stärken und auch beflügeln kann, ihren Weg weiter zu gehen. Eine Lerngeschichte zu schreiben ist kein Zauberwerk, ihre Wirkung jedoch hat nicht selten etwas Zauberhaftes. Versuchen Sie es einfach und lassen Sie sich davon überraschen, wie Ihre Geschichte auf das Kind und vielleicht auch auf seine Eltern wirkt!
Ein Brief an die TeamkollegInnen
Britta Nentwig und Sabine Borngräber aus der Münchner Kita »Villa Mondschein« wollten einen Bericht darüber verfassen, wie sich in ihrem Team die Arbeit mit Lerngeschichten entwickelt hat. Sie waren mit dem Ergebnis unzufrieden, denn die Beschreibung kam ihnen viel zu trocken vor. Es fehlte der sprühende Funke, den sie selbst verspürt hatten und vermitteln wollten. Schließlich kam ihnen die Idee, es einfach mal ganz anders zu versuchen und statt eines Berichts lieber einen Brief an ihre Teamkolleginnen zu schreiben.
Liebe Kolleginnen,
seitdem wir vor drei Jahren anfingen, die Lerngeschichten bei uns einzuführen und zu entwickeln, hat sich viel verändert. In der Anfangszeit war unser Wissensstand sehr unterschiedlich. Einige von Euch hatten schon mit Lerngeschichten gearbeitet, doch die meisten, auch Britta und ich, betraten Neuland. Zur Einführung der Lerngeschichten gestalteten wir mit einer Referentin einen Klausurtag. Die anfängliche Komplexität war für uns alle erst einmal verwirrend. Wir beschäftigten uns mit grundsätzlichen Begrifflichkeiten und dem Lernen des Kindes. Wir haben erlebt, dass Ihr mit viel Interesse mitgearbeitet habt, doch so ganz zufrieden waren wir alle nicht und fragten uns, wohin dies nun führen könnte und wie es überhaupt weitergehen soll. Auch die Frage, ob zu viele verschiedene Methoden der Beobachtung und Dokumentation nicht zu viel werden könnten – und mehr ja nicht immer besser bedeutet –, stand im Raum. Würde die Zeit, in der wir Lerngeschichten schreiben, nicht in der Arbeit mit den Kindern fehlen?
Eure Fragen in den Teamsitzungen waren ein wichtiger Teil, um den Lerngeschichten näher zu kommen, und haben uns Euer Interesse am Thema fühlen lassen. Es war Euch immer wichtig, ein stimmiges Konzept für unsere Kita zu finden und dabei nichts zu überstürzen. In dieser produktiven Stimmung hat es uns immer Spaß gemacht, mit Euch an den Lerngeschichten zu arbeiten und auch zu experimentieren. Dank Eures Engagements ist es uns sogar gelungen, den zusätzlichen Freiraum für eine kleine Arbeitsgruppe zu schaffen, von der wir letztlich alle profitierten.
Die Idee, uns erst mal auf die Beobachtung zu konzentrieren und diese im Team auszuwerten, hat sicherlich dazu beigetragen, dass inzwischen auch diejenigen ganz selbstverständlich Geschichten schreiben, die sich das am Anfang noch nicht vorstellen konnten. Euer Blick auf die Kinder hat sich geschärft, und es ist schön zu sehen, wie Ihr jedes einzelne Kind in seiner Besonderheit und Individualität wahrnehmt. Eure Fantasie, was man alles für Kinder und mit Kindern und deren Eltern schaffen kann, mit den vielen wunderschönen Wandaushängen, z.B. dem vom Ausflug ins Dino-Museum, kannte kaum Grenzen. Es war und ist natürlich immer noch eine sehr produktive Zeit.
Wir bedanken uns bei Euch, dass wir gemeinsam in diesen Jahren schon so viel geschafft haben. Der Weg ist das Ziel! Ich wünsche uns allen, dass wir uns weiter auf diesem Weg entwickeln und noch viele beeindruckende Erfahrungen machen können. Ihr seid ein sehr kreatives Team und euer Fokus liegt immer unmittelbar auf den Bedürfnissen der Kinder. Das schätze ich sehr an Euch und ich denke, dass das auch ein Leitspruch für unsere nähere Zukunft. Ihr seid be-reit, etwas zu verändern und entwickelt viele neue Ideen, ohne dabei in Aktionismus zu geraten. Ihr korrigiert Euch gegenseitig und nehmt konstruktive Kritik an, auch wenn das nicht immer leicht fällt. Denn auch das ist Eure Stärke: trotz unterschiedlicher Ansichten unter Berücksichtigung der verschiedenen Aspekte durch abwägendes Betrachten ein gemeinsames Ergebnis zu finden, das dann alle mittragen.
Wir sind stolz, ein Teil davon zu sein und wünschen uns allen – gerade auch jetzt in der Zeit des Umbaus –, viel Geduld und Durchhaltevermögen.
Vielen Dank an Euch alle
Eure Sabine und Britta
Kornelia Schneider war wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut. Ihre Forschungsgebiete sind frühe Bildung, Forschendes Lernen, Beziehungen unter Kindern und Lerngeschichten. Sie ist seit 2005 im Austausch mit den neuseeländischen Expertinnen für die Arbeit mit Lerngeschichten und Herausgeberin von »Mit Lerngeschichten wachsen«.
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Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/18 lesen.