Kinder entdecken Schriftkultur
Kinder beobachten ErzieherInnen nicht nur ganz genau, sondern nehmen auch gern ihre Rolle ein, z.B. beim Ausfüllen der Anwesenheitslisten. Spannend wird es, wenn sie ihre eigenen Listen erfinden. Der Erzieher Tobias Kügler aus dem FRÖBEL-Kindergarten Kinderland in Neu Fahrland hat sie dabei seinerseits genau beobachtet.
Wo steht mein Name? Mit welchem Buchstaben fängt der an? Kann ich mich selbst austragen? Oder meine Zeit eintragen? Welche Zahlen brauche ich dafür? Die 39 vier- bis sechsjährigen Kinder unserer »Räubergruppe« interessieren sich seit Wochen für unsere Anwesenheitslisten. Sie beobachten uns ErzieherInnen, wie wir damit hantieren, mit Schriftzeichen arbeiten und stellen uns praktische Fragen. Was wir damit machen. Warum wir da so oft was schreiben. Und was eigentlich genau. Jede dieser Fragen kann der Beginn einer Reise ins Thema Literacy sein.
Über die Funktion einer Anwesenheitsliste haben die Kinder inzwischen recht klare Vorstellungen. »Das ist ein Listenblatt. Um die Kinder einzutragen. In den Kästchen. Da stehen die Namen.« (Karl, 5;3) »Seeräuber und Waldräuber stehen da«, weiß Lucy (4;8) und zeigt auf die zwei Spalten auf dem Blatt. Lenya (5;7) sagt, »dass man weiß, wann die Kinder kommen und abgeholt werden« und Luisa (6;1) fällt noch ein: »zum Beispiel, wenn ich mit Ida mitgehe, muss das auf der Liste stehen. «Was Luisa sagt, weist darauf hin, dass wir ErzieherInnen alltäglich ein Dokument mit Informationen und (Schrift-)Zeichen produzieren, das für Kinder im Rahmen ihrer entstehenden Schrift- und Lesekompetenzen faszinierend ist.
Eine Art Meilenstein ist, wenn ein Kind sagt: »Da steht mein Name.« Wir beobachten häufig, dass sich Kinder dann gemeinsam die Anwesenheitsliste angucken und sich ihre Namen zeigen. Bei uns können sich Kinder auch selbst ein- oder austragen, ausstreichen und die Bringe- bzw. Abholzeit notieren. Sie bekommen dafür Liste, Klemmbrett und Stift überreicht und lieben es, diese bedeutsamen Objekte in Händen zu halten.
Wegen des großen Interesses drucken wir für unsere RäuberInnen eigene Listen aus – wir nennen sie »Kinder- Kinder-Listen«. Zum Verdruss der Kinder (sie sagen »da fehlt ja was«) ohne Nachnamen, dafür aber mit viel Platz für eigene Skizzen, Schreib- und Zeichenexperimente. Mit einem gebastelten oder von zu Hause mitgebrachten Klemmbrett und einem Kugelschreiber entsteht dann eine »richtige« Liste. Mit diesen Utensilien versehen, schlüpfen die Kinder in die Rolle der Erzieherinnen und Erzieher.
Tobias Kügler ist Kulturwissenschaftler und Erzieher am FRÖBEL-Kindergarten Kinderland in Neu Fahrland in Brandenburg. Er ist Co-Autor von »Dino auf dem Polylux. Ästhetische Bildung in der Kita«.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05-06/19 lesen.