Ästhetisches Lernen in einer KinderKunstMusik-Werkstatt
Was geschieht, wenn künstlerisches und musikalisches Lernen in der Schuleingangsstufe nicht von LehrerInnen, sondern von zwei Personen angeleitet wird, die diese Künste verkörpern? Und was bedeutet es, wenn Studierende der Fächer Kunst und Musik diese Rollen übernehmen? Wie Klecks und Klang – alias Kunst und Musik – zwanzig Kinder auf eine Reise in die Welt der Künste mitnehmen, schildern die hier in Folge veröffentlichten Berichte über ungewöhnliche Anlässe künstlerischen und musikalischen Lernens und Lehrens. Zusammen mit ihren beiden Dozentinnen lassen vier Lehramtsstudierende der Universität Bielefeld das ungewöhnliche Projekt noch einmal lebendig werden und befragen es rückblickend auf seine (fach-)pädagogischen Hintergründe.
Alles begann im Herbst 2016, als wir die Kinder der ersten Klasse der Montessori-Schule Bielefeld an einem für sie noch unbekannten Lernort begrüßten. Hier in den Räumen der Universität wollten wir sie in den folgenden Wochen in den Kunst- und Musikunterricht einführen. Das Projekt war für alle Beteiligten in mehrfacher Hinsicht ein besonderes, hatten wir uns doch vorgenommen, einzelne Lernsequenzen in eine erlebnisreiche, Sinn und Beziehung stiftende Rahmenhandlung einzubetten. Ziel war es, den gerade eingeschulten Kindern Zusammenhänge zwischen beiden Künsten vor dem Hintergrund ästhetischer Erfahrungsbildung erlebbar zu machen und ihnen zugleich Identifikationsanlässe und Möglichkeiten zur Entfaltung ihrer gestalterischen und musikalischen Potenziale in unseren Werkstätten zu bieten.
Der Begriff Werkstatt meint in diesem Zusammenhang nicht alleine einen Handlungsraum, der durch den Anmutungs und Aufforderungscharakter seiner Ausstattung, durch Material und Werkzeug, zu manuellen, gestaltgebenden Aktivitäten anstiftet. Werkstatt meint in unserem Verständnis immer zugleich auch einen Denkraum, der das Vermögen imaginärer Probehandlungen im Rahmen schöpferischer Prozessen in den Mittelpunkt rückt und damit dem Erkundungsbedürfnis und den Sinnkonstruktionen von Kindern Rechnung trägt.
Neben den Erlebnissen der SchülerInnen berücksichtigen die Berichte über die KinderKunstMusik-Werkstatt zugleich auch die Erfahrungen der Lehramtsstudierenden, die – von uns Dozentinnen begleitet und unterstützt – Vermittlungssituationen planen, durchführen und auswerten konnten. Gemeinsam lernten wir von und mit den Fünf- bis Siebenjährigen, deren ästhetischen Erfahrungen im Mittelpunkt aller Aktivitäten standen. Dabei war es ein Anliegen, über herkömmliche Fach- und Institutionsgrenzen hinweg in größeren Zusammenhängen zu denken und zu agieren und die vom System Schule festgelegten Rollenzuweisungen ein Stück weit zu unterwandern. Vor allem aber wollten wir den Kindern die Künste auf lustbetonte und erlebnisreiche Weise nahebringen.
Dies geschah in erster Linie dadurch, dass wir die Aufgaben der Lehrkräfte an zwei die Fächer Kunst und Musik vertretende Identifikationsfiguren abgaben. In der Rolle von Klecks und Klang führten zwei Studierende die SchülerInnen performativ in Arbeits- und Übungsphasen ein, begleiteten sie anleitend und beratend in ihrem Tun oder moderierten die Gespräche über das Erlebte und Gestaltete. Klecks und Klang verkörperten dabei elementare Grundprinzipien beider Künste. Während Klecks etwas Erlebtes visuell bildhaft vor Augen stellte, wollte Klang es akustisch musikalisch zu Gehör bringen. Indem sich beide über ihre jeweilige Sicht auf geplante Aktivitäten oder anschließend vorliegende Ergebnisse austauschten, sie auf humorvolle Weise gegenseitig kommentierten, ohne dabei die Sicht der Kinder aus den Augen zu verlieren, konnten sie eine besondere Beziehung zu ihnen aufbauen.
Ihre spielerisch-performative Moderation nahm zugleich die Scheu vor den neuen Räumen und den unbekannten Personen, auch wenn sie anfangs im Verborgenen agierten: In zwei großen Kartons waren Klecks und Klang zwar akustisch präsent, traten aber erst in der zweiten Woche als leibhaftige Personen in Erscheinung. Dann aber gaben beide Figuren der Kunst wie der Musik eine Stimme, einen Körper und ein Gesicht. So ließen sich grundlegende Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten der Künste herausstellen und erlebbar machen. Gleichzeitig konnte über einen längeren Zeitraum ein Spannungsbogen entwickelt werden, indem musikalische und gestalterische Aktivitäten und Ergebnisse beziehungsreich aufeinander aufbauten.
Der Verbindung beider Fächer war damit über den Modus der Personifikation eine Bühne geschaffen, auf der die sonst dominierende Lehrer-Schüler-Kommunikation durch Dialoge zweier humorvoll agierender, die Kinder auf Augenhöhe ins Gespräch ziehender Figuren ersetzt wurde. Klecks’ und Klangs Impulse inspirierten zum endeckenden und Gestalt gebenden Probehandeln, ganz im Sinn des Konzepts der Montessori- Schule mit ihren offenen, fächerverbindenden Lehrund Lernformaten, in denen das ganzheitliche Erleben von GrundschülerInnen besonders berücksichtigt wird.
Julia Rheingans ist Kunst- und Musiklehrerin für die Primarstufe und Lehrbeauftragte im Fach Kunst- und Musikpädagogik an der Universität Bielefeld.
Petra Kathke, Professorin für Kunstpädagogik an der Universität Bielefeld, promovierte 1995 in Kunstgeschichte und ist seither v.a. in der LehrerInnenbildung tätig. Arbeits- und Forschungsschwerpunkten sind Theorie und Praxis künstlerischen Lernens und Lehrens sowie die ästhetische Fundierung künstlerischer Bildungsprozesse in Schule und Hochschule.
Kontakt
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/20 lesen.