Das mathematische Potenzial von Rollenspielen
Für Kita-Kinder haben Rollenspiele eine große Bedeutung. Können diese fantasievollen Spiele mit mathematischer Frühbildung verbunden werden? Gerhard Friedrich und Sandra Jestand haben mathematisch bedeutsame Kontexte in Rollenspielen erforscht.
Es gibt wohl kaum etwas, was Kinder größere Freude bereitet, als zu spielen, schließlich ist es ihre ganz eigene Art, sich mit ihrer Umwelt und sich selbst auseinanderzusetzen. Rollenspiele stehen dabei besonders hoch im Kurs. Wenn die kleine Tierärztin dem Kuscheltierpferd liebevoll das Bein verbindet, wird eine neue, imaginäre Welt konstruiert, in der sich die Spielakteur:innen bewegen. Im Rahmen eines Bildungsprojektes gingen wir der Frage nach, inwieweit diese Art des Spielens zum Anspruch einer frühen mathematischen Bildung passen könnte. Ist eine solche Verbindung überhaupt möglich? Mathematik gilt immerhin als Königsdisziplin des abstrakten und nüchternen Denkens und könnte deshalb dieser fantasievollen Spielform didaktisch entgegenstehen. In unserem Projekt stellten wir fest, dass die Möglichkeit, mathematisch bildende Momente im Rahmen der bei Kindern so beliebten Rollenspiele zu finden, wesentlich von drei Gelingensfaktoren abhängt.
Faktor 1: Aktivitäten im Vorfeld
Weil Kinder in Rollenspielen ihre Erfahrungen und Erlebnisse verarbeiten, sollten rollenspielvorbereitende Aktionen – z.B. Bilderbuchbetrachtungen, Erkundungen, Ausflüge oder Kreativarbeiten – stattfinden, die einen Bezug zu mathematischen Themen zulassen. Geht es z.B. darum, eine Kaufladenspielsituation vorzubereiten, bietet es sich an, mit den Kindern einen realen Laden zu besuchen und zu erkunden. Ein Buchladen in räumlicher Nähe zur Kita ist ein idealer Exkursionsort. Solche Besuche regen ein späteres thematisches Aufgreifen im Rollenspiel an.
Faktor 2: Das Spielmaterial
Die Spielmaterialien, die den Kindern zur Verfügung stehen, sollten sowohl einen Spielaufforderungscharakter besitzen als auch ein gewisses »mathematisches Potenzial« in sich tragen. Die Kaufladenspielsituation ist wie geschaffen dafür, mathematische Handlungen zu initiieren. Viele Themen, etwa das Zählen, das Einüben von Zuordnungen (Ware – Geld), Sortieren, Klassifizieren, Abwiegen, sind implizierter Teil der Spielhandlungen mit den Spielmaterialien. Gerade bei der Auswahl der Requisiten kommt es ganz darauf an, welche zur Verfügung gestellt werden. Wird das Geld etwa in zu vielen Werten angeboten, kann es schnell passieren, dass ein Liter Milch mit 20 Euro bezahlt wird und als Wechselgeld 50 Euro herausgegen werden. Hier ist es deshalb sinnvoll, nur mit wenigen und im Betrag realistischeren Spielgeldmünzen zu spielen (z.B. Ein- und Zwei-Euro-Münzen). Auch sollte in nur einer Einheit (Cent oder Euro) bezahlt werden. Weiter ist sinnvoll, nur wenige Waren, diese dafür jedoch in größeren Stückzahlen in den Verkaufsregalen anzubieten als umgekehrt, nämlich sehr viele Waren und dafür in geringen Stückzahlen.
Faktor 3: Die pädagogische Fachkraft
Kindliche Fantasie- und Rollenspiele können trotz bester Vorbereitung kaum in »Mathematiklernspiele« verwandelt werden. Es geht bei den vorgestellten Aktivitäten nicht darum, zielorientiert Mathematik in den Spielen der Kinder zu verstecken, sondern vielmehr darum, das mathematische Potenzial in den Kinderspielen zu erkennen, um sie in ein mathematisches Bildungserlebnis zu verwandeln. Kauft ein Kind etwa einen Liter Milch für einen Euro und das nächste Kind einen Liter Milch für drei Euro, genügt vielleicht ein einfaches Nachfragen, ob das denn gerecht oder fair sei, um mit den Kindern unter Beibehaltung ihrer Rollen als Käufer oder Verkäuferin gemeinsam nachzudenken. Wir benötigen also eine »mathematische Beobachtungsbrille« und müssen in der Lage sein, die mathematischen Regeln, Prinzipien, Strukturen bzw. Muster beim Spielen zu entdecken und diese gemeinsam mit den Kindern in einem ko-konstruktiven Prozess zu erschließen. Das didaktische Prinzip, das unserem Projekt zugrunde lag, war also die Interaktion zwischen Kindern und Fachkräften.
Sandra Jestand ist Erzieherin, Heilpädagogin, Fachwirtin im Sozialwesen und Krippenfachkraft. Seit vielen Jahren arbeitet sie als Kindergartenleitung und Dozentin für Inhouse-Fortbildungen sowie als Fachbuchautorin.
Kontakt
Gerhard Friedrich, Dr. paed. habil., ist Diplom-Pädagoge und unterrichtete die Fächer Technik, Mathematik, Pädagogik und Psychologie. Er ist Privatdozent für Allgemeine Didaktik an der Universität Bielefeld sowie Buch- und Spieleautor.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/2022 lesen.