Autonomes Handeln von Kindern verantwortungsvoll begleiten
Partizipation als gelebtes Kinderrecht bringt gerade für die Gestaltung der täglichen Essenssituation eine Menge Herausforderungen und Chancen mit sich. Von den Erfahrungen des Teams der Elterninitiativkita Wukaninchen im brandenburgischen Biesenthal berichtet die pädagogische Fachkraft Catharina Rafoth.
»Guck mal, was ich heute mit hab!« Freudig sieht mich Luis an und hält mir ein Käsebrot entgegen, das er aus der mitgebrachten Brotdose genommen hat. Er beißt genüsslich hinein und lässt es sich schmecken. So oder ähnlich beginnen unsere Tage in der Elterninitiativkita Wukaninchen in Biesenthal. An diesem kleinen Ort nordöstlich von Berlin verstehen wir Partizipation als Kinderrecht. Wie wir das beim Thema Essen an unseren zwei Standorten, der Haus- und der Waldkitagruppe, leben, ist spannend und herausfordernd zugleich. Schon beim Ankommen zeigen sich die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder und wie sie sich diese selbstbestimmt erfüllen. Die meisten Kinder der Hauskitagruppe beginnen ihren Tag, indem sie sich mit ihren Brotdosen und Trinkflaschen an unseren großen Tisch setzen.
Ich erlebe das wie ein morgendliches, sicherheitsbringendes Ritual, das die Kinder individuell gestalten und weiterentwickeln: Eines möchte vom Vater in der Bringsituation noch die Dose geöffnet bekommen und einen Bissen von seinem Apfel nehmen, bevor es mit einer Armbewegung und den Worten »Papa weg« anzeigt, dass die Bezugsper- son losgehen kann. Ein anderes Kind wünscht sich, dass seine Bezugsperson bleibt, bis es den Brei aus dem mitgebrachten Einmachglas ganz ausgelöffelt hat. Andere Kinder halten die Verabschiedung eher kurz, um sich gleich mit ihren Freund:innen im Nebenraum eine gemütliche »Frühstückshöhle« zu bauen.
Halt geben
Die Brotdose scheint mir wie ein Anker zu sein: Sie ist jederzeit für das Kind verfügbar, ob im Haus, im Waldkitawagen, im Garten oder auf unseren Ausflügen. Mal ist die Brotdose beim Morgenkreis dabei, mal wird sie ins gemeinsame Pferdespiel als Futterkrippe integriert. Letztens war es so kalt, dass einige Kinder die Garderobe als warmen, gemütlichen Frühstücksort wählten. Zudem ist sie Anlass für jede Menge soziale Interaktion und sprachliche Anregung. Die Inhalte werden begutachtet, benannt und bestaunt. Es werden Geschichten erzählt, warum heute dies in der Brotdose ist und nicht das. Die Inhalte anderer Brotdosen sind oft begehrt, bleiben aber unerreichbar, wenn das Kind nicht teilen möchte. Wenn es dann doch teilt, ist die Freude groß und das gemeinsame Band zwischen den Kindern wird enger. Es werden auch Inhalte getauscht, bei älteren Kindern erleben wir auch schon mal längere Verhandlungen, aus denen am Ende Tauschgeschäfte entstehen.
Wenn wir mit den jüngeren Kindern einen Ausflug machen, findet solch ein Begehren und Tausch ebenso statt: Regelmäßig, sobald die Kinder im Kitawagen Platz genommen haben, verlangen sie nach den Brotdosen und machen die Erfahrung, dass sie diese auf den zum Teil holprigen Wegen gut festhalten sollten, damit das Essen nicht auf den Boden fällt.
Selbst entscheiden
Zum Mittagessen werden wir mit regionaler und vegetarischer Kost von einem lokalen Cateringunternehmen beliefert. Wenn das Essen ankommt, hören wir die Kinder oft rufen »Essen ist da!« Dann schauen sie voller Neugier in die Essensbehälter. Bei den Kindern über drei Jahre übernimmt oft eines den Tischdienst. Mal allein, mal mit Freund:innen und immer ganz unterschiedlich. Manche Kinder machen den Tischdienst zum Wettrennen: Wer bringt und verteilt Teller und Gläser am schnellsten auf dem Tisch? Andere Kinder gehen sehr bedächtig und überlegt vor und gestalten den Tisch, als wären wir in einem Restaurant. Mit Kerzen und Blumen. Hin und wieder fühlen sich die Kinder dann auch für leer gewordene Schüsseln während des Essens verantwortlich, unterbrechen die eigene Mahlzeit und füllen die Schüsseln nach.
Catharina Rafoth ist Sozialpädagogin, Dozentin in der Erzieher:innenausbildung und Mutter. In der selbstorganisierten Elterninitiativkita Wukaninchen arbeitet sie als pädagogische Fachkraft im U3-Bereich und hat deren Waldkitagruppe mitinitiiert. Hier und in der Hausgruppe begegnen sich aktuell 36 Kinder und 8 Teammitglieder. 2022 belegte die Kita Wukaninchen den 2. Platz beim Deutschen Kita-Preis.
Kontakt
www.wukaninchen.net
Diesen Beitrag können Sie vollständig neben weiteren interessanten Beiträgen in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/2023 lesen.