![]() |
Bedeutung der Biografie von Eltern und Fachkräften für die Eingewöhnung
Der Übergang von der Familie in die Krippe, Kita oder Kindertagespflege stellt für Kinder und ihre Familien eine bedeutende Veränderung dar. Wie Eingewöhnung zu gestalten ist, damit sie bedürfnisorientiert und gewaltbewusst verläuft, und warum dies eine wichtige und zugleich herausfordernde Aufgabe ist, beschreibt die Sozialpädagogin Anja Cantzler.
Die Eingewöhnung ist für Kinder und ihre Familie eine wichtige Phase des Wandels. Dass sie in der Praxis nicht immer ganz reibungslos verläuft, liegt auch daran, dass alle Beteiligten ihre eigenen Erfahrungen und Geschichten in den Prozess einbringen. Für pädagogische Fachkräfte liegt hier eine herausfordernde und zugleich wichtige Aufgabe: die Eingewöhnung so zu gestalten, dass sie bedürfnisorientiert und gewaltbewusst verläuft. Dabei spielt das Verständnis für die biografischen Hintergründe sowohl der einzelnen Familien als auch der Fachkräfte selbst eine zentrale Rolle. In der pädagogischen Arbeit treffen die Biografien der Kinder, ihrer Familien und der pädagogischen Fachkräfte aufeinander. Diese Begegnung ist besonders in der Arbeit mit Kindern in Krippe, Kita und Kindertagespflege von Bedeutung, da deren Lebensgeschichten noch ganz am Anfang stehen.
Die frühe Entwicklung der Kinder ist eng verknüpft mit ihrem Lebensumfeld, den biografischen Erfahrungen ihrer Familien und dem professionellen Einfluss der Fachkräfte. Aus den bisherigen Erfahrungen und prägenden Erlebnissen aller Beteiligten entstehen individuelle Stärken und Ressourcen. Diese beeinflussen sowohl die Art und Weise, wie Kinder, Familien und Fachkräfte ihre Gegenwart gestalten, als auch ihre Perspektiven auf die Zukunft. Um diese Prozesse professionell zu begleiten und zu fördern, ist es wichtig, die Potenziale der biografischen (Selbst-)Reflexion zu verstehen.
Eingewöhnung und kindliche Biografie
Die Phase des Übergangs von der Familie in eine außerfamiliäre Betreuung ist eine zentrale Erfahrung im frühen Leben eines Kindes. Sie markiert oft die erste längere Trennung von den primären Bezugspersonen und das Eintreten in eine neue soziale Welt. Diese Phase ist nicht nur emotional herausfordernd, sondern auch prägend für die biografische Entwicklung des Kindes. Eine gelungene Eingewöhnung bietet dem Kind die Möglichkeit, Vertrauen in sich selbst, in neue Beziehungspersonen und in unbekannte Situationen zu entwickeln. Diese frühen Erfahrungen bilden eine wichtige Grundlage für die weitere soziale und emotionale Entwicklung. Misslingt die Eingewöhnung oder verläuft sie unsensibel, können Unsicherheiten entstehen, die das Selbstvertrauen und die Beziehungsfähigkeit des Kindes langfristig beeinflussen. Für die pädagogischen Fachkräfte bedeutet dies, die Biografie des Kindes und seiner Familie ernst zu nehmen und sich sensibel auf individuelle Bedürfnisse einzustellen.
Der Austausch mit den Familien über die bisherigen Erfahrungen des Kindes hilft, Übergänge besser zu gestalten und Ressourcen zu nutzen. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den familialen Bindungspersonen und Fachkräften ermöglicht es dem Kind, sich in der neuen Umgebung sicher zu fühlen und sich positiv zu entwickeln. Die Eingewöhnung ist somit nicht nur eine organisatorische Notwendigkeit, sondern ein bedeutsames Ereignis, das die Biografie des Kindes nachhaltig prägt. Ein bewusst gestalteter, feinfühliger Eingewöhnungsprozess kann das Fundament für vertrauensvolle Beziehungen, eine stabile emotionale Entwicklung und eine positive Bildungsbiografie legen.
Bindungspersonen in der Eingewöhnung
Die eingewöhnungsbegleitenden Bindungspersonen spielen eine zentrale Rolle im Eingewöhnungsprozess ihrer Kinder. Ihre emotionale Verfassung, ihre innere Haltung und ihr Vertrauen in die Einrichtung und die Fachkräfte wirken sich unmittelbar auf das Wohlbefinden und das Ankommen des Kindes aus. Kinder nehmen die Stimmungen ihrer Bindungspersonen sensibel wahr, was bedeutet, dass Unsicherheiten, Ängste oder Zweifel dieser auch auf das Kind übergehen können. Umgekehrt kann eine zuversichtliche, vertrauensvolle Haltung dem Kind Sicherheit vermitteln und ihm helfen, sich schneller in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Bindungspersonen bringen ihre eigenen Erfahrungen, Ängste und Erwartungen in den Eingewöhnungsprozess ein. Diese beeinflussen, wie sie auf die Trennung von ihrem Kind reagieren und wie sie den Übergang begleiten. Eltern, die selbst unsichere oder negative Erfahrungen mit Betreuungssituationen gemacht haben, können besonders ängstlich oder besorgt sein. Einige Familien haben möglicherweise aufgrund eigener negativer Erfahrungen ein tiefes Misstrauen entwickelt. Andere kämpfen mit Schuldgefühlen, weil sie den Eindruck haben, ihr Kind »abzugeben« oder nicht ausreichend für es da sein zu können. Solche Gefühle können Spannungen hervorrufen, die sich auch auf das Kind übertragen und den Eingewöhnungsprozess erschweren.1
Es ist daher essenziell, dass Fachkräfte sich Zeit nehmen, die Biografien und die damit verbundenen Gefühle und Erwartungen der Familien zu verstehen. Hier ist eine einfühlsame, wertschätzende Begleitung durch die pädagogischen Fachkräfte von großer Bedeutung. Durch offene, respektvolle Gespräche können Unsicherheiten abgebaut werden, und Vertrauen kann entstehen. Wenn Fachkräfte den Eltern vermitteln, dass ihre Sorgen ernst genommen werden, fühlen sich diese nicht nur respektiert, sondern auch unterstützt. Gemeinsame Absprachen, Transparenz im pädagogischen Handeln und die Möglichkeit, Fragen zu stellen, tragen dazu bei, Ängste zu mindern. Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Eltern und Fachkräften bildet die Grundlage für eine gelungene Eingewöhnung.2
Darüber hinaus können Fachkräfte den Familien verdeutlichen, dass deren emotionale Beteiligung ein wesentlicher Bestandteil eines gelingenden Eingewöhnungsprozesses ist. Eine stabile, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Familien und Fachkräften schafft nicht nur für das Kind, sondern auch für die Familien selbst eine sichere Basis, auf der das Ankommen in der Kindertagesbetreuung gelingen kann.
Anja Cantzler ist Sozialpädagogin, Supervisorin, Kita-Beraterin und Autorin zahlreicher Fachbücher, wie z.B. »Sich seiner SELBST BEWUSST SEIN. Biografische Selbstreflexion« zusammen mit Lea Wedewardt von 2022 oder zusammen mit anderen »Haltung zeigen für demokratische Werte« von 2025.
Kontakt
www.coaching-cantzler.de
1 Vgl. Cantzler A. (2024): Eingewöhnung. Wenn Trennung schwerfällt. Kindergarten heute – Wenn Eltern Rat suchen. Herder, S. 4
2 Vgl. ebd. S. 6
Bilder: niko by coachingcard