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Geschmacks-Bildung mit Kindern
»Tanzende Teller« ist ein inklusives Kunstprojekt, das Kinder zu kulinarischen Entdeckungen und zum Tanz einlädt. Johanna Pareigis hat das Projekt mit Preslav Mantchev entwickelt und erzählt, wie es Kinder auf überraschende und bewegende Weise zu kulinarischen Entdeckungen und zum Tanz einlädt.
Wie tanzt das Saure?
Wie bewegt sich dein Körper, wenn er etwas schmeckt, etwas Neues kostet? Wie tanzt ein bitterer Geschmack? Und was passiert, wenn Kinder sich gemeinsam mit Künstler:innen und ihren Pädagog:innen auf das Abenteuer Tanz und Geschmack einlassen? »Tanzende Teller – Eine Geschmacks-Bildung mit Kindern« wagt genau das. Es öffnet den Raum für neue Erfahrungen, für überraschende Verbindungen und für eine kreative, sinnliche Erkundung dessen, was wir oft für selbstverständlich halten: das Essen. Hier wird nicht nur gegessen. Hier wird gefühlt, gerochen, gehört, gesprochen, gesungen und getanzt – und das auf eine ganz neue Weise. Geschmack wird im Tanz verkörpert, in dem Bewegung gleichzeitig Erkenntnis und Ausdruck ist. Das Schmecken z.B. der sauren Zitrone lässt mein Gesicht sich zusammenziehen. Im Tanz machen Arme und Beine diesen zusammenziehenden Eindruck des Sauren größer und verleihen ihm so künstlerischen Ausdruck.
Geschmack bildet – und bewegt
Insgesamt 60 Kinder von drei bis sechs Jahren eines Kieler Kindergartens ge-hen von November 2024 bis März 2025 auf eine Entdeckungsreise, die ihnen neue Welten eröffnet. Die Einrichtung liegt in einem Stadtteil, in dem viele Kinder mit Migrationsgeschichte aufwachsen. Die finanziellen Ressourcen sind hier oft knapp und Barrieren vielfältig. Das Projekt schafft einen Ort der Teilhabe – durch Tanz, Essen, Schmecken und Gemeinschaft. Neu in unserem Projekt ist die Perspektive: Essen wird nicht nur als Nahrungsaufnahme verstanden, sondern als kulturelle, körperliche, emotionale und kreative Erfahrung. Wir gehen dem Prozess des Essens und Schmeckens zusammen mit allen Beteiligten auf den Grund. Musik und bewegte Körper in Aktion – das ist unser künstlerisches Konzept. Das halbjährige Projekt »Tanzende Teller« ist ein Experimentierfeld für die Sinne und ein künstlerisches Labor für das Alltägliche – für die Kinder ebenso wie für die Erzieher:innen und für uns, die beteiligten Kulturschaffenden.
Hunger – nicht nur am Ende des Monats
Die Kinder und ihre Familien in diesem Stadtteil haben es nicht leicht. Trennungen, manchmal Gewalt, körperliche und mentale Einschränkungen und am Ende des Monats sogar oft Hunger bestimmen vielfach ihr Leben. »Am Ende des Monats, wenn zu Hause kein Geld mehr da ist, essen die Kinder in unserer Einrichtung deutlich mehr als am Monatsanfang«, berichtet eine Erzieherin. Zu Beginn des Projekts ist sehr schnell zu spüren, dass die Kinder neben dem Hunger nach Essen auch einen großen emotionalen Hunger nach menschlicher Nähe sowie einen Hunger nach körperlicher Bewegung haben. Als erstes verabschieden wir unsere Idee, ausschließlich mit einer Anzahl ausgewählter Vorschulkinder im Alter von fünf bis sechs Jahren zu arbeiten. In den Morgenkreisen der Einrichtung, die nach einem offenen Konzept arbeitet, entscheiden die Kinder aller Altersgruppen, ob sie am selben Tag bei den »Tanzenden Tellern«, der wöchentlichen, gut einstündigen Projekteinheit, mitmachen wollen. Und es sind viele, die mitmachen wollen – auch Dreijährige kommen in unser Projekt. Hat ein Kind sich entschieden, bekommt es eine Eintrittskarte, laminiert und mit tanzenden Tellern verziert. Es gibt nur 20 Eintrittskarten. Mal sind alle Karten vergeben, mal weniger, und mal machen sogar mehr Kinder mit, als es Karten gibt. Die Kinder entscheiden sich jede Woche neu, und so bleiben wir offen und passen unsere Ideen ihren Bedürfnissen und Ideen an. Die Kinder nehmen auf ihre individuelle Weise teil: Manche sind einfach präsent, stehen, schauen, probieren, schmecken, bewegen sich oder beobachten nur. Andere sind wild, aktiv und manche sehr fordernd und konfliktbereit, wie ausgehungert nach Nährendem, nach Anerkennung, nach Essen und nach allem, was sie greifen und halten können. Das berührt uns Kulturschaffende menschlich sehr und beschäftigt uns noch lange danach. Immer wieder stimmen wir unser Konzept darauf ab. Das sollte eigentlich eine pä-dagogische Selbstverständlichkeit sein, ist es in der Realität aber oft nicht.
Johanna Pareigis ist promovierte Biologin, Bildungsreferentin, Wildnis- und Tanzpädagogin und arbeitet seit 23 Jahren mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im Bereich der Bildung.
Kontakt
www.johannapareigis.de
Preslav Mantchev ist professioneller Bühnentänzer und Choreograf. Er leitet die Tanzschule »Tanz & Kunst«. Wie Johanna Pareigis ist er Kulturvermittler des Landes Schleswig-Holstein und setzt gemeinsam mit ihr bundesweit viele Projekte mit den Schwerpunkten Draußenlernen, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Inklusion um.
Kontakt
www.preslav-mantchev.com