Gastherausgeberin Teresa Ogrodzinska schreibt über das Thema der Ausgabe 16: »Junge Kinder als Forscher«
»Die Erde ist ein Klotz am Bein des Menschen«, pflegte Hugo Steinhaus zu sagen. Der berühmte polnische Mathematiker war für seine geistreichen Bemerkungen berühmt. Steinhaus war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass die Mathematik nicht jedermanns Stärke ist. 1938 veröffentlichte er auf Polnisch und Englisch ein außergewöhnliches Buch, »Ein mathematisches Kaleidoskop«, das die Mathematik dem allgemeinen Publikum nahe bringen sollte. Das Buch wurde schnell in zehn weitere Sprachen übersetzt.
Manchmal frage ich mich, welche Laufbahn ich eingeschlagen hätte, wenn mir jemand Steinhaus’ Buch empfohlen hätte, als ich noch ein junges Mädchen war.
Als Kind liebte ich die Natur. Ich hielt Molche, ich bastelte meine eigenen Herbarien und mochte die Experimente, die wir im Chemieunterricht machten. Leider bemerkte kein Lehrer mein Interesse. Es ermutigte mich auch keiner, mich weiter in die Erforschung der Natur zu vertiefen.
Ich war aber auch gut, was die Sprache anging, und so hatte ich schnell einen Ruf als »literarisch interessiertes« Mädchen. Ich unternahm nichts gegen dieses Etikett. An der Oberschule grinste ich nur und nahm es hin, wenn meine Lehrerin rief: »Du Idiot! Setz dich, du bist eine Versagerin in Mathe!« Sie sagte so etwas zu den meisten von uns, auch zu Maciek, der zwar immer die richtigen Ergebnisse herausbekam, aber seine eigenen innovativen Methoden benutzte.
Ich bestand meine letzte Prüfung in Mathe ohne große Schwierigkeiten und mein Literaturexamen mit wehenden Fahnen. Es war für alle ganz klar, dass ich Kunst und Geisteswissenschaften studieren würde. Heute habe ich einen Masterabschluss in Polnischer Sprache und Literatur, aber ich weiß nicht, ob ich damals wirklich die richtige Wahl getroffen habe. Zufällig hatte Maciek kein Problem, ein Mathestudium aufzunehmen, und jetzt hat er den Doktortitel einer bekannten amerikanischen Universität.
Wie sollen wir Kinder in Naturwissenschaften ausbilden?
Kinder sind die geborenen Entdecker – sie wollen den Sinn der Welt herausfinden. Sie wollen alles berühren, befühlen und erkunden. Sie fragen nach allem, was sie umgibt, konstruieren ihre eigenen Theorien, geben allem Sinn und Bedeutung. Diese Ausgabe von »KINDER in Europa« zitiert die Aussagen vieler Kinder, die wir als Erwachsene überraschend, faszinierend und anregend finden.
Wie also sollen wir Kinder in den Naturwissenschaften ausbilden? Geoffrey Boulton beschreibt die Hauptschwierigkeiten: »Die Schwierigkeiten beim Lernen in den Naturwissenschaften bestehen darin, mentale Brücken zu bauen – von einer empirischen Welt der Sinne zu einer Welt der Abstraktion. Es ist eine Brücke, die manche nicht überqueren und von der viele herabstürzen … Wie errichten wir nun eine Brücke zwischen dem Greifbaren und dem Abstrakten? Wie gehen wir mit dem Ungewissen um?«
In den vergangenen Jahren gab es viele Initiativen, die entwickelt wurden, um jungen Kindern zu helfen, die Bedeutung der sie umgebenden Welt zu verstehen. Interessanterweise entstanden viele davon nicht in den traditionellen pädagogischen Institutionen – und das hat ganz sicher seinen Grund. Vereine, Museen, wissenschaftliche Ausbildungszentren, zoologische Gärten und Universitäten sind eifrig dabei, Workshops, interaktive Ausstellungen, Experimentierkurse und Websites für Kinder zu organisieren (die oft zugleich auch für Eltern und Lehrer gedacht sind). Die Fragen der Kinder sind Ausgangspunkt für viele dieser Projekte, die oft in Beratungen mit bedeutenden Akademikern entstehen. Das liegt vielleicht daran, dass auch Akademikerinnen und Wissenschaftler gern Fragen stellen und dass sie die Fragen und Denkprozesse der Kinder faszinierend finden. Beschreibungen vieler solcher Projekte finden Sie in dieser Ausgabe von »KINDER in Europa«.
Herausforderungen für Lehrer und Erzieher
Wie können wir die Wissbegierde und den Forscherdrang der Kinder erhalten? Wie können wir ihre natürliche Neugier bestärken? Moderne Lehrtheorien machen da einige Vorschläge, beispielsweise: Gib einem Kind Raum für seine individuellen Erkundungen und Experimente. Das klingt einfach, oder? Aber es ist überhaupt nicht einfach, die traditionelle Herangehensweise vieler Lehrer und Lehrerinnen zu ändern, die dafür ausgebildet wurden, sich wie allwissende Autoritäten und Vermittler des einzig wahren Wissens zu verhalten.
Es ist eine wirkliche Kunst, Kindern zu-zuhören und ihnen zu folgen, argumentieren Ingela Elfström und Bodil Halvars-Franzén: »Wenn Lehrer ermuntert werden, den unvorhersehbaren Geschichten und Theorien der Kinder zuzuhören, wird ein neuer Raum in den Beziehungen eröffnet und darin werden die Lehrer selbst zu einem Teil des Prozesses.«
Eine andere Kunst des Lehrens ist die Fähigkeit, für Kinder Räume zu schaffen, die ihnen dabei helfen, selbst die Welt zu erkunden. 1997 sagte der französische Physiker und Nobelpreisträger Georges Charpak in einem Interview mit dem Magazin, einer wöchentlich erscheinenden Beilage der größten polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborza: »Ich bin wirklich beeindruckt davon, was die Amerikaner in der Elementarbildung tun. Sie wenden die Hands-on-Methode an, eine praktische Methode, was bedeutet, dass man die Dinge mit den Händen fassen kann. Es geht darum, die Zeit gut zu nutzen, in der junge Kinder besonders kreativ und wissbegierig sind.«
Sie können im Beitrag des Teams La main à la pate über die Ergebnisse von Charpaks Bemühungen nachlesen, die Hands-on-Methode im französischen Bildungssystem einzuführen.
Wie können die Lehrerinnen und Lehrer sich auf die Herausforderungen einer modernen Bildung vorbereiten? Lucia Selmi beschreibt ein lokales Projekt, das »die Fächer neu definiert« und auf Problemen des alltäglichen Lebens und der Denkweise der Kinder beruht: »Um zu verstehen, wie Kinder Phänomene interpretieren, muss man in der Lage sein, die Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven, in verschiedenen Sprachen und Denkweisen zu betrachten. Es ist ebenso wichtig, mehr das logische Denken und Schlussfolgern zu fördern, als Antworten zu geben, und damit anzuerkennen, dass Denkmuster sich auf nichtlineare Weise entwickeln und Brüche möglich sind.«
Die Methode des interdisziplinären Unterrichtens, die ich besonders interessant finde, hat Lilian Katz als Projektmethode bezeichnet. Sie funktioniert sehr gut, sogar mit Vorschulkindern. Die Projektmethode betrachtet den Lernprozess als natürlich, spontan und experimentell. Die Rolle des Lehrers oder der Erzieherin ist es dabei eben nicht, zu lehren, sondern die Arbeit der Kinder zu koordinieren und einen Raum für ihre Erkundungen zu schaffen, um ihnen dabei zu helfen, aus den eigenen Erfahrungen zu lernen.
Die Methode umfasst drei Phasen:
- In Phase 1 wählen die Kinder mit Hilfe des Lehrers ein Thema, das für ihre Erkundungen attraktiv und geeignet ist. Sie diskutieren, entwickeln Hypothesen und planen gemeinsam verschiedene Aktivitäten.
- In Phase 2 tragen sie Informationen zusammen, führen Interviews durch, laden »Experten« ein, unternehmen Feldbesuche in der Praxis, entwickeln Konstruktionen und führen Experimente durch – all das, um ihre Ideen an der Realität zu überprüfen.
In der letzten und dritten Phase schließlich berichtet man anderen, was man gelernt hat.
Die Projektmethode ermutigt zum logischen Denken, zum Fragen und Lernen durch Experimente und zum Schlussfolgern.
Lehrerinnen und Erzieher, die diese Methode anwenden wollen, brauchen eine Ausbildung dafür, und für diese Ausbildung müssen die Institutionen sich an interdisziplinärer Zusammenarbeit beteiligen. Wie kann das geschehen? Teresa Vasconcelos und ihre Kollegen stellen ein Beispiel vor, in dem Studenten, Stellenvermittler und Ausbilder aus verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa 16/09 lesen.
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