Auf der Suche nach universellen Sprachen
Die Suche nach universellen Sprachen ausgerechnet in einem Brennpunktbezirk wie dem Berliner Bezirk Wedding zu beginnen, ist der beste Reisestart, den sich Karin Babbe (Text) und Elisabeth Niggemeyer (Fotos) vorstellen können. Denn eine universelle, den ganzen Menschen umfassende Sprache zu suchen und deren Wirkungsprinzipien zu ergründen, ist ein lohnendes Unterfangen für Menschen in Großstadtquartieren, die durch besonders viele soziale Bürden belastet sind. Können Kinder durch Entdecken und Erproben fasziniert von den Phänomenen der Welt zu einer »language awareness« gelangen, die es ihnen eher ermöglicht aus dem Kreislauf des sozialen Abstiegs durch Bildung zu entfliehen? Und wenn ja, wie? Karin Babbe und Elisabeth Niggemeyer stellen Erfahrungen vor, die sie gemeinsam mit Erzieherinnen und Lehrerinnen aus dem Bezirk Wedding sammelten.
Universelle Sprachen
Unser Kopf hat wunderbare Straßen und Ecken zum Denken, Sprechen, Fühlen, Sehen, Hören, Riechen, Schmecken...
Sprache, Denken, Wirklichkeit sind eng miteinander verwoben. Sprache bildet Wirklichkeit ab und schafft gleichzeitig Wirklichkeit. Sprachphilosophische Betrachtungen, insbesondere aus den 70er Jahren sowie Chomskys generative Transformationsgrammatik beflügeln den Forscherdrang unterschiedlicher Fachrichtungen immer wieder neu. Im Mittelpunkt steht die Frage: Gibt es eine genetisch programmierte Sprachkompetenz im Gehirn, ein gespeichertes Sprachwissen, das hinter der Sprachanwendung und Sprachverarbeitung für alle Sprachen der Welt liegt? Besonders die Entwicklung der Programmiersprachen hat in den 80er Jahren der Suche nach einer Sprache hinter dem Sprechen starke Forschungsimpulse gegeben. Obwohl Strukturen im Gehirn nachgewiesen wurden, die zur Teilhabe an einer funktionstüchtigen Sprache als unabdingbar herausgefiltert wurden – wie zum Beispiel die Fähigkeit, Hypothesen zu bilden, um ein inneres Regelsystem aufzubauen – gibt es keine Hinweise auf eine angeborene Grammatik aller Sprachen dieser Welt.
Dennoch wird neben Programmiersprachen von vielen universellen Sprachen gesprochen: die universelle Sprache der Musik, der Liebe, des Sportes, der Künste, der Mathematik usw. Bei dieser Aufzählung wird klar, dass es nicht um Semantik oder Syntax geht, sondern menschliche Kontakt- und Kommunikationsmittel angesprochen werden, die ohne Sprache über die Sprache hinausgehen und andere Medien – die Töne, die Farben, die Formeln – zur zwischenmenschlichen Begegnung nutzen.
Der Spracherwerb ist für Menschen mit geringem Bildungshintergrund in der Regel minimalistisch. Die Vielfalt der Wörter taucht im Kontext des Lebens und der Weltbetrachtung weniger auf. Und wenige Wörter zur Benennung von Dingen zu haben, heißt auch – nach de Saussure – die Welt weniger vielfältig wahrnehmen zu können.
In bildungsarmen Umgebungen fehlt oft eine Gesprächskultur, in der die Hypothesenbildung angeregt wird, was u.a. zu lückenhaften Strukturen in syntaktischen und morphologischen Bauplänen führen kann. Wenn dann im so gestalteten Erstspracherwerb noch ein Zweitspracherwerb, der in der Regel ungesteuert in den ersten fünf Lebensjahren verläuft, hinzukommt, können leicht doppelte Halbsprachigkeiten mit grammatischen »Versteinerungen« entstehen, die durch die Besonderheiten der gesprochenen Sprache wie Intonation, Mimik, Gestik im dialogischen Miteinander zum Teil ausgeglichen werden. Wird jedoch die Schriftsprache gelernt, werden diese sprachlichen Lernausgangslagen offenkundig. Wie ist hier eine Entwicklung im Zweitspracherwerb möglich, die nachhaltig und für die Kinder als tragfähiges Fundament bedeutsam werden kann?
Mit dieser Frage beschäftigt sich die Zweitsprachendidaktik schon einige Jahrzehnte. Immer wieder wird dabei die Motivation »Ich will etwas von mir mitteilen« als Triebfeder benannt. Jedoch wird sie bei genauer Sicht auf gängiges Lehrmaterial nicht wirklich ernst genommen. Oder soll es für ein Kind kommunikativ bedeutsam sein, dem Lehrer mitzuteilen, dass der Stift von Sprachbuchkind XYZ blau ist? Wohl kaum. Vielmehr muss eine universelle Sprache – im Sinne von Menschen verbindend, den ganzen Menschen treffend und meinend – gesucht werden, die nicht die strukturellen Universalien, sondern die höchst motivationalen Implikationen meint.
Durch Donata Elschenbroichs »Weltwissen« von siebenjährigen Kindern wurde der Blick auf eine universelle Sprache gelenkt, die im Verborgenen schlummert: die Phänomene der Welt oder die universelle Sprache in den Dingen. Jedes Kind, gleichgültig, ob es in China, Grönland oder auf Hawaii lebt, stellt in bestimmten Lebensphasen Fragen wie zum Beispiel: »Warum ist der Himmel blau?«, »Warum fällt ein Vogel nicht runter beim Fliegen?«.
Diese Neugier der Kinder auf die Welt haben wir herausgefordert und in Lernbegegnungen mit den dazugehörenden Lernszenarien immer ausgehend von Phänomenalem genutzt.
Weitere Erfahrungen finden Interessierte in der Dokumentation des Projektes, gefördert durch das Quartiersmanagement Pankstraße. Info über Karin Babbe, Schulleiterin an der Erika-Mann-Grundschule in Berlin-Wedding.
Kontakt
Fortbildnerin und Fotografin
Elisabeth Niggemeyer
Uhlandstraße 46
10719 Berlin
Universelle Sprachen
Karin Babbe
Erika-Mann-Grundschule
Utrechter Straße 25–27
13347 Berlin-Wedding
Wind machen! Viel lachen!
Marietta Grzondziel
Humboldthain-Grundschule
Grenzstr. 9
13347 Berlin
Danke, liebes Licht!
Bettina Rheinsberg und Sultan Sünetci
Kita Ruheplatzstraße
Ruheplatzstr. 13
13347 Berlin
Zusammen ist viel besser
Anett Weber und Karin Reiche
Wedding Grundschule
Antonstr. 10
13347 Berlin
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 08-09/06 lesen.