Es ist das Jahr der Kartoffel, habe ich in verschiedenen Zeitungen gelesen. Wunderbar! Ich liebe Kartoffeln. Allerdings habe ich mir noch nie Gedanken über sie gemacht. Ich esse gern Folienkartoffeln mit Quark, Kartoffelpuffer mit Apfelmus, Bratkartoffeln, Kartoffelchips und Pommes frites.
Und ich weiß, dass erstere sehr gesund sind und letztere äußerst ungesund. Durch sorgfältiges Recherchieren bin ich klüger geworden. Das Ungesunde hat mit den ungesättigten Fetten zu tun. Wenn ich das meinen Enkeln erklären müsste, dann würde ich leider nicht glaubwürdig und wenig überzeugend sein. Es ist ein schwieriges Thema.
Ich werde mich der Kartoffel von einer ganz anderen Seite nähern. Meine Erinnerungen an Kartoffeln liegen Jahre zurück. In meiner Kindheit gab es Kartoffelferien. Eigentlich auch unglaubwürdig, da ich in Berlin aufgewachsen bin und diese Großstadt natürlich in der Nachkriegszeit keine Kartoffeläcker mehr zu bieten hatte. So hörte ich den Geschichten meiner Mutter zu, die im Krieg Kartoffeln ausbuddeln musste und auch welche geklaut hat, um ihre kleine Familie zu ernähren.
Ich bin mit Karotten und Kartoffeln aufgewachsen. Inzwischen eine ausgewachsene Großmutter, erfreue ich mich allerbester Gesundheit. Kartoffeln beinhalten wirklich Erstaunliches. Sie haben einen hohen ernährungsphysiologischen Wert, ganz viel Vitamin C und Mineralstoffe, Eisen, Eiweiß, Kalium, Magnesium und ganz wenig Kalorien. Ein idealer Schlankmacher – da wird eine Großmutter hellhörig.
Als ich Kind war, hat mein Großvater im Keller Kartoffeln überwintert. Er hat selbst Kartoffelschnaps gemacht. Vielleicht hatte er deshalb so eine Kartoffelnase.
Es gab einen richtigen Kartoffelkeller, denn Kartoffeln müssen im Dunklen lagern, sonst bildet sich Solanin, und das ist giftig für Menschen. Sie wurden mit Papier und Jutesäcken abgedeckt. Es war immer ein bisschen unheimlich da unten. Manchmal roch es faulig…
Natürlich waren im Keller auch andere Kostbarkeiten zu entdecken. Möhren steckten in sandigen Holzkisten, Gurken in tönernen Töpfen, Äpfel lagen auf Lattenregalen und ...zig Einweckgläser standen, fein säuberlich beschriftet, mit Kirschen, Pflaumen, Kürbis und Birnenhälften für den sonntäglichen Nachtisch bereit. Zu besonderen Anlässen wurde ein Mirabellenglas geöffnet. Die herrlichen Früchte wurden auf kristallenen Schalen serviert; daran erinnere ich mit Wohlbehagen.
Ganz fantastisch fand ich, wenn die Kartoffeln austrieben. Das kann man heute kaum noch verfolgen. Sie keimten und streckten ihre wurzelähnlichen, weisslich-grünlich-bleichen Triebe dem Licht entgegen. Dadurch wurden sie dann auch etwas weich und schrumpelig. Das reizte meine Fantasie ungemein. Sie verwandelten sich in Gnome, lebendige Kellerwesen, die sich nachts mit Mäusen und Spinnen vergnügten.
Manche Kartoffeln hatten wunderbare Formen. Sie sahen wie Zweiköpfige aus, wie Herzen oder wie närrische Wesen. Knubbel, Dellen, Warzen und Buckel erzählten von ihren heldenhaften Vergangenheiten.
Als ich neulich Kartoffeln kochen wollte und sie aus dem Korb nahm... Siehe da – was entdeckten meine Augen? Augen! Ich legte einige Knollenexemplare auf das Fensterbrett, um den Prozess des »Auswuchses« zu verfolgen. Wirklich spannend. Man kann sie im Dunklen weiter beobachten, sie befeuchten, warm stellen und ins Wasser legen. Meine Enkelin kam auf die Idee, sie im Aquarium in Erde zu legen und zu gießen, damit wir später mal Kartoffelklöße kochen können. Die dümmsten Bauern ernten die dicksten Kartoffeln, heißt es ja.
Natürlich hat mein armes Enkelkind noch nie eine Kartoffel blühen sehen. Dabei hat sie ganz reizvolle lila Sternchenblüten. Man stelle sich vor, dass die Kartoffel früher nur wegen der schönen Blüten und des üppigen Laubs als seltene Zierpflanze aus Südamerika importiert und in Botanischen Gärten bewundert wurde.
Es gibt nicht nur tolle Geschichten über die Herkunft der Kartoffel, sondern auch ungefähr 5.000 Kartoffelsorten mit schönen Namen: Linda, Prinzess, Selma, Melina, Wachtel, Venus, Sieglinde oder Xenia. Es gibt sie in verschiedenen Formen und Farben – rote, grüne, gelbe, blaue und schwarze. Es gibt süße, mehlige, fest kochende, längliche, glatte, ovale, späte, frühe und mittelfrühe Kartoffeln. Gekocht, roh oder gepresst lindern sie viele Leiden, bewähren sich als Heilmittel bei Halsschmerzen, Blasenentzündug, Kreislaufbeschwerden, Augenschwellungen, Kopfschmerzen und Magengeschwüren. Es lohnt sich, der Kartoffel zu Leibe zu rücken. Übrigens nicht nur, um sie sich einzuverleiben, denn Kartoffeldruck ist eine Ausdrucksform.
Dagmar Arzenbacher
www.kartoffelmuseum.de
Homepage des deutschen Kartoffelmuseums in München. Die Seite gibt einen kurzen Einblick über die Geschichte der Kartoffel und informiert über Öffnungszeiten und Anreise.
www.kartoffel.ch
Website zum internationalen Jahr der Kartoffel 2008. Mit vielen Rezepten und Informationen über die verschiedenen Kartoffelsorten.
www.kartoffelvielfalt.de
Der 60 Hektar große Biolandhof Ellenberg hat seinen Schwerpunkt auf den Kartoffelanbau und die Vermarktung von »alten Kartoffelsorten« gelegt, die in ihrer Form, Farbe und den vielfältigen Geschmacksrichtungen besonders sind. Es werden cirka 170 Sorten angebaut, von denen jedes Jahr ein Sortiment von etwa 20 Sorten, auch über einen Online-Shop, angeboten wird.
www.unika-ev.de
Vor dem Hintergrund sich ändernder Ernährungsgewohnheiten und der zunehmenden Internationalisierung auch der Kartoffelwirtschaft wurde Ende 2001 die UNIKA gegründet, um eine Plattform für die gesamte deutsche Kartoffelbranche zu schaffen.