Der Sinn und die Prozesse des Beobachtens, Zuhörens, Interpretierens und Dokumentierens standen im Mittelpunkt eines Fachtages mit Claudia Giudici und Prof. Dr. Gerd E. Schäfer in Köln. Sabine Skalla war dabei.
Abil findet eine Tonscherbe und sagt: »Das ist ein Dinosaurier-Knochen«. »Nein, das ist ein Stahlrohr«, erwidert die Erzieherin. Das Kind schaut enttäuscht und will schon von seinem Fundstück ablassen, als eine andere Erzieherin, die die Situation beobachtet hat, hinzukommt und sagt: »Vielleicht ist es ein Rohrknochen-Dinosaurier«. Das Kind, sichtlich erfreut über die Idee, wendet sich wieder dem Fundstück zu, und das Spiel geht weiter.1
Beobachtung, Dokumentation und das Sichtbarmachen von kindlichen Lernprozessen standen im Mittelpunkt des Fachtags »Dialog mit Reggio«, welcher am 27. Februar 2009 in Köln stattfand.
350 Teilnehmerinnen aus Deutschland, Schweden, Luxemburg, Österreich und der Schweiz waren angereist, um den Vorträgen von Claudia Giudici (Mitglied des Vorstands von Reggio Children, Italien) und Prof. Dr. Gerd E. Schäfer (Universität zu Köln) zu folgen und anschließend mit ihnen zu diskutieren.2
Mehrstimmig zuhören und auf einer Metaebene das eigene Handeln reflektieren lernen
Claudia Giudici ging in ihrem Vortrag der Frage nach, was es bedeutet, in den Krippen und Kitas zu beobachten und zu dokumentieren. Gemeint ist hier nicht eine Art der Dokumentation, wie sie in der Fachliteratur auftaucht, sondern es geht ihr um einen stetigen Prozess der Weiterentwicklung und darum, neue Dokumentationsmöglichkeiten zu entdecken und zu kommunizieren.
Aus der Sicht von Claudia Giudici ist das Kind von sich aus stark und startfähig und von Beginn an mit Kompetenzen und Fähigkeiten ausgestattet. Zum Kontext, in dem Lernen stattfindet, erwähnt sie auch den Raum als dritten Erzieher. Das Begreifen und Lernen des Kindes ist eine Art Konstruktionsakt. Die Kinder lernen, indem sie selbst handeln und das Handeln reflektieren. Lernen beschreibt Claudia Giudici nicht als linearen Prozess, sondern als zirkulär, wozu auch gehört, Dinge zu wiederholen, voranzuschreiten, aber auch einmal zurückzugehen. Das Lernen nimmt Bezug auf die Identität der Erzieherin, es ist jedoch ein wechselseitiger Prozess: Erwachsene sollten Kindern nichts überstülpen oder etwas lehren, sondern gemeinsam mit den Kindern forschen. Claudia Giudici legt Wert auf aktives Zuhören, denn Zuhören erzeugt Neues und Veränderndes; es ist ein Verb, das andere mit einbezieht, auf Dialog und wechselseitige Beziehungen verweist. Eine Bedingung für gutes Zuhören ist für sie, dass man sich selbst gute Fragen stellt und Fragen formuliert, die den Respekt gegenüber dem Kind ausdrücken.
Durch das Beobachten machen wir Erfahrungen mit den Kindern, und dadurch entwickeln wir uns selbst weiter. In der herkömmlichen Schule sind Lehren und Lernen oftmals getrennte Prozesse. Wenn wir uns zum Beispiel Kinder in den Krippen oder Kitas anschauen und beobachten und dann eine Aktivität vorschlagen, haben wir das eigentliche Beobachtungsfeld verlassen und lehren. Wenn jedoch die Kinder in Krippen und Kitas in ihrem sozialkonstruktiven Umfeld als Forscher anerkannt werden, können Lehren und Lernen gleichzeitig stattfinden. Eine beobachtende Erzieherin ist eine wahrnehmende und teilnehmende Beobachterin. Claudia Giudici beschreibt weiter, wie der Erwachsene dem Kind dadurch sehr nahe ist und sich die Gedankengänge des Kindes aneignen kann; Neugier ist eine Voraussetzung hierfür. Der Erwachsene kann in diesem Prozess auch vorausdenken und überlegen, wie er weitere Motivationspunkte schaffen oder einen weiterführenden Impuls geben kann. Die Beobachtung an sich bleibt nicht neutral, sondern sie ist subjektiv, und die Interpretation schließt sich an. Die teilnehmende Beobachtung schließt den Blickwinkel der Beobachtenden sowie die Interpretation ein und zeigt auch die Beziehung zwischen Kind und Beobachterin auf.
Ziel der Beobachtung selbst muss die Dokumentation sein. Aber was bedeutet Dokumentation? Claudia Giudici meint, dass wir durch die Dokumentation den Kindern eine Stimme geben. Es geht um die Dokumentation des Lernprozesses, während er stattfindet, und nicht um das Endergebnis. Die Dokumentation ermöglicht mehrstimmiges Zuhören und bietet die Möglichkeit, die Vielfältigkeit festzuhalten. Eine Dokumentation kann man immer wieder anschauen und dadurch auch den Austausch mit anderen ermöglichen. Sie dient der Überprüfung sowie der Selbstüberprüfung, wodurch wir die Fähigkeit erlangen, auf einer Metaebene zu reflektieren.
Sabine Skalla
1 Sinngemäß wiedergegebenes Beispiel aus dem Vortrag von Prof. Dr. Gerd Schäfers, welches in der Naturwerkstatt in Mühlheim beobachtet und dokumentiert wurde.
2 Der Fachtag wurde von der Fortbildnerin und Lehrbeauftragten der Universität Köln, Angelika von der Beek, organisiert. Ursprünglich vorgesehen war, dass die Präsidentin von Reggio Children diesen Fachtag mitgestaltet, doch wegen der Feierlichkeiten zu Loris Malaguzzis (Begründer, bzw. Mitentwickler der Reggio-Pädagogik) Todestag musste sie leider absagen. Mit Claudia Giudici, die kurzfristig eingesprungen war, lernten die Teilnehmerinnen eine ebenso fachkompetente Pedagogista kennen und erhielten einen Einblick in 35 Jahre Beobachtung und Dokumentation in den Kitas und Krippen vor Ort, in Reggio Emilia. Claudia Giudici besuchte als Kind selbst eine Kita in Reggio Emilia, später wurde sie dann Kita-Fachberaterin und heute ist sie als Mitglied des Vorstands von Reggio Children verantwortlich für den Bereich Forschung, Ausbildung und Beratung.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 04-05/09 lesen.