Pädagogien? Ein solches Land gab es bisher nicht. Aber es wurde Zeit, es zu erfinden, denn alles was ein Land braucht, gibt es schon längst: Den eigenwilligen Menschentyp der Pädagogen. Eine bestimmte Sprache, die diese verwenden: »Mal pädagogisch ausgedrückt...« Eine bestimmte Art zu denken, sagen Außenstehende. Auch das Gebiet, in dem das Land errichtet werden könnte, ist schon längst da: die pädagogische Landschaft. Von Kennwaschon und Immersogewesen nach New Input. Neugierig geworden?
Michael Fink berichtet exklusiv für Sie, liebe Betrifft KINDER-Leserinnen und Leser, direkt aus Pädagogien.
In diesem Heft über die Sprachen und Dialekte der Pädagogier und ihre Feste, Feiertage und Gebräuche.
Wir kommen an in Pädagogien und schauen uns erst einmal um. Denn es gilt, das Völkchen der Pädagogier kennen zu lernen: Wie sie miteinander reden, was sie bewegt, womit sie sich so emsig beschäftigen. All die gemeinsamen Rituale, Traditionen und Angewohnheiten, die auf Außenstehende vielleicht merkwürdig wirken: Für die Eingeborenen von Pädagogien sind sie ganz selbstverständlich, weil es für sie Alltag und Gewohnheit ist, sich genau so und nicht anders zu verhalten. Auch wenn einzelne Bewohner Pädagogiens für sich denken, dass man sich doch auch anders verhalten könnte, überwiegt doch die Einschätzung: Hier bei uns macht man die Dinge nun einmal so und nicht anders.
Bei Kindern kann man das so schön betrachten: Im gemeinsamen Tun, im gemeinsamen Deuten der Dinge um sie herum lassen sie ihre Welt entstehen – Ko-Konstruktion nennt man das Denkmodell, nachdem der Mensch die Welt, an die er sich glaubt, heranzutasten und anpassen zu müssen, eigentlich selbst gemeinsam mit Anderen um sich herum erschaffen hat.
Sind wir zufrieden mit »unserem« Stück Pädagogien? Oder träumen wir davon, dass doch alles auch ganz anders sein könnte? Aber niemand von der Regie sorgt dafür, dass unser Traum verwirklicht wird? Dann wird es Zeit, gemeinsam mit Anderen den Traum wahrzumachen – indem wir ihn leben.
Wörterbuch: Über die Pädagogische Sprache
Pädagogische Sprache, schwere Sprache: Natürlich hat Pädagogien eine eigene Landessprache. Höchstwahrscheinlich gehört diese einer großen Sprachgruppe an: Dem Fach-Chinesisch. Es folgt: Eine kleine Sprachanalyse.
Wiewohl die Sprache der Pädagogier unserer ähnelt, gibt es doch irritierende Unterschiede: Zu Häusern sagen sie dort Einrichtungen. Zu dem, was wir Einrichtung nennen, sagen sie Materialanreize. Zu Zimmer sagen sie Spielfläche, Aktionsbereich oder vorbereitete Umgebung. Oder sie nennen es einfach dritter Erzieher, obwohl überhaupt kein erster und zweiter Erzieher im Haus zu finden sind – nur Frauen und Kinder!
Manche Pädagogier klagen, dass sie den ganzen Tag so viel zu tun haben, weil sie die Kinder so viel beschäftigen – und dennoch bieten sie nur einmal am Tag eine kurze Beschäftigung an. Andere nennen die Beschäftigung Angebot, obwohl sich die Teilnehmer gar nicht aussuchen konnten, ob sie das Angebot ausschlagen möchten. Sie machen manchmal ein Bewegungs-Angebot – obwohl schon kleine Kinder wissen, dass man Bewegung nicht angeboten bekommen muss, sondern ganz von selber machen kann.
Überhaupt: Alles wollen sie gestalten, auch das, was eigentlich von selbst passiert. Sie gestalten sogar den Tagesablauf – als ob es ohne sie nicht von selbst immer wieder erst Morgen, dann Mittag und später Nachmittag würde. Eine Tageszeit allerdings gäbe es ohne ihre Gestaltungsarbeit wirklich nicht: Die Bringe- und Abholzeit.
Alt-Pädagogisch
Es gibt nicht nur die eine pädagogische Hochsprache, sondern auch unterschiedliche Dialekte. Unter traditionellen Pädagogierinnen ist vorzugsweise das Alt-Pädagogische anzutreffen. Auch hier werden anstelle der gewohnten Begriffe andere Worte verwendet:
»Eltern« nennt man dort die Mutti – auch in der direkten Anrede: Aus »Liebe Eltern, Annika braucht neue Feuchttücher« wird im Altpädagogischen »Und die Mutti denkt bitte dran, dass die Annika neue Feuchttücher braucht.«
Auch die Kinder werden nicht mit »du« (oder »sie«) angesprochen, sondern in der folgenden Kombination aus »der«/ »die« und Namen: »die Annika« oder »unser Thomas«: »Jetzt kommt mal die Annika hierher!« Im Altpädagogischen entfällt jedoch nicht nur die zweite Person zugunsten der dritten, sondern auch die erste: Zu sich selbst sagt die Pädagogierin nicht »Ich«, sondern »die Tante« oder »die Brigitte«.
Verben werden grundsätzlich durch das Adverb »Fein« verstärkt. Aus dem Satz: »Gib mir mal den Ball von Thomas« wird also dementsprechend: »Jetzt gibt die Annika mal der Tante Brigitte fein den Ball von unserm lieben Thomas zurück.«
Auch im Plural kennt das Alt-Pädagogische keine zweite Person, stattdessen verwendet man den Ausdruck »Aallekindäär«: »Kommt, gibt Essen« wird dann zu »Aallekindäär gehään jetzt feiiin zum Häändäwaaschään«.
Konzept-Pädagogisch
Das noch viel jüngere Pädagogisch der Konzeptionier verwendet völlig andere Formen.
»Aallekindäär« ist völlig ungebräuchlich, überhaupt wird der Plural gemieden, und statt Eigennamen kennt diese Sprachform nur folgende Begriffe: »Das Kind« und »die Erzieherin«, manchmal noch »ein Elternteil«. Weil oft schwer zu erkennen ist, welches Kind und welche Erzieherin gerade gemeint sind, wird der Ausdruck »das Kind« oder »die Erzieherin« jedoch gerne mit einer Als-Verlängerung konkretisiert: »Das Kind als Spielpartner« oder »Die Erzieherin als Begleiterin«. Wenn von mehreren Kindern gesprochen wird, wird das jeweils erste als »das Kind« bezeichnet und ein weiteres zur Unterscheidung »der Interaktionspartner« genannt.
Alle Dinge werden grundsätzlich nie mit deren Namen, sondern immer mit Oberbegriffen bezeichnet. Unser Beispielsatz 1 mit dem Ball heißt: »Das Kind als soziales Wesen gibt der Erzieherin das Bewegungsmaterial ihres Interaktionspartners zurück.«
Unser Beispielsatz 2: »Kommt, gibt Essen, Händewaschen nicht vergessen« verändert sich bei der Übersetzung ins Konzept-Pädagogische stärker. Eine weitere Grundregel im Konzept-Pädagogischen fordert nämlich, Zeitabläufe immer mit dem Wortanhang »-situation« zu verlängern:
»Bevor das Kind als junger Mensch mit Bedürfnis nach gesunder, abwechslungsreicher Kost von der Erzieherin als Begleiterin zur Essensituation eingeladen wird, wechseln sie gemeinsam zur Pflegesituation im Bad, wobei das Kind als eigenaktives und selbstbestimmtes Wesen an der Reinigung seiner Hände aktiv partizipieren darf – gegebenenfalls nach Aufforderung und Unterstützung durch die begleitende Pädagogin als aktivierendes, unterstützendes Element. Wasser und Seife liegen als Materialanreiz mit hohem Aufforderungscharakter bereit.«
Das Beispiel zeigt auch einen entscheidenden Nachteil: Leider sind im Konzept-Pädagogisch einige Sätze recht lang.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/10 lesen.