»Das heutige System der Kita-Finanzierung ist ungerecht, unterfinanziert und nicht mehr zeitgemäß. Es stammt aus einer Zeit, in der in Westdeutschland Kita-Betreuung eher die Ausnahme als die Regel war«, erklärte der AWO Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler anlässlich einer Pressekonferenz der Arbeiterwohlfahrt am 24. Oktober 2013 in Berlin: »Die finanzielle Unterstützung einer Kita und damit auch die Qualität der Kinderbetreuung darf aber nicht von der Finanzkraft bzw. der Prioritätensetzung einer Kommune abhängen.« »Die bisherige Kita-Finanzierung muss geändert und die Kommunen dadurch entlastet werden«, betont auch Prof. Stefan Sell, der im Rahmen der Pressekonferenz ein neues Modell zur Kita-Finanzierung im folgenden Beitrag vorstellt.
Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland ist durch zwei schwere Systemfehler charakterisiert: Zum einen sind wir mit einer Unterfinanzierung konfrontiert, zum anderen müssen wir eine Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung feststellen. Was ist damit gemeint?
Problem 1: Unterfinanzierung
Die Ausgaben der öffentlichen Hand für die gesamte Kindertagesbetreuung in Deutschland beliefen sich im Jahr 2011 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes auf netto 17,3 Milliarden Euro. Das waren gut 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Um sich eine Vorstellung von dem Ausmaß der gegenwärtig bestehenden Unterfinanzierung des Systems der Kindertagesbetreuung machen zu können, ist es hilfreich, daran zu erinnern, dass die OECD bereits vor Jahren als Soll-Größe für die öffentlichen Ausgaben ein Prozent des BIP vorgegeben hat. Hierbei handelt es sich nun keineswegs um eine Wünsch-dir-was-Größe. Die skandinavischen Länder und auch Frankreich erreichen diese Größenordnung bei ihren Investitionen in die frühkindliche Bildung und Betreuung bereits heute. Würde man also die Kindertagesbetreuung in Deutschland nach den OECD-Vorgaben finanziell ausstatten, dann müssten neben den bereits genannten 17,3 Milliarden Euro zusätzliche 9 Milliarden Euro in das System hinein gegeben werden, um eine finanzielle Ausstattung gewährleisten zu können, mit der sich eine qualitativ hochwertige Kindertagesbetreuung realisieren ließe.
Dass diese zusätzliche Summe derzeit im System der Kindertagesbetreuung nicht vorhanden ist, zeigt zugleich auch auf, warum wir nicht nur über einen quantitativen Mangel an Plätzen für die Kindertagesbetreuung in vielen Regionen und vor allem Städten unseres Landes sprechen, sondern warum es auch immer wieder Klagen über die Qualität der zur Verfügung gestellten Plätze gibt – vor allem im besonders sensiblen Bereich der Plätze für die Kleinsten. Die mehr als 26 Milliarden Euro, die eigentlich für die Kita-Finanzierung zur Verfügung gestellt werden müssten, markieren zugleich die Obergrenze des finanziellen Volumens, um das es bei einer systemgerechten Finanzierung gehen würde – wobei darauf hingewiesen werden muss, dass es sich um Brutto-Beträge handelt, die tatsächliche finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte hingegen erheblich geringer ausfallen wird.
Problem 2: Fehlfinanzierung
Den Ausführungen zur Fehlfinanzierung sei vorangestellt, dass es nicht eine Kita-Finanzierung in Deutschland gibt – sondern 16 Finanzierungssysteme in den einzelnen Bundesländern. Diese weichen voneinander teilweise erheblich ab und fächern sich dann in den Bundesländern auf der Ebene der Kommunen weiter auf. Sie unterscheiden sich beispielsweise in der Frage, wie hoch der Anteil des jeweiligen Bundeslandes an der Finanzierung der Kitas ist, aber auch hinsichtlich der Elternbeteiligung in Form von Elternbeiträgen.
So gibt es Bundesländer wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, in denen die Eltern je nach Einkommensverhältnissen erhebliche Gebühren für die Inanspruchnahme eines Kita-Platzes bezahlen müssen, während zugleich im Nachbarland Rheinland-Pfalz alle Eltern von jeglichen Gebühren befreit sind, wenn das Kind das zweite Lebensjahr vollendet hat. Auch die Beteiligung der Träger an den Kosten der Kindertageseinrichtungen streut zwischen den Bundesländern und dann auch noch zwischen den Trägern erheblich.
Aber die eigentliche Fehlfinanzierung, die hier anzusprechen ist, bezieht sich auf einen anderen Aspekt: Es geht um die Tatsache, dass die derzeit gegebene Finanzierung in den meisten Bundesländern dazu führt, dass die Ebene am stärksten belastet wird, die rein monetär gesehen den relativ geringsten Nutzen aus der Kindertagesbetreuung zieht, während die Ebenen, bei denen volkswirtschaftlich und auch fiskalisch gesehen, die größten in Geld messbaren Nutzen-Anteile anfallen, nicht oder nur in einem geringen Ausmaß an der Regelfinanzierung der Kindertageseinrichtungen sowie der Kindertagespflege beteiligt sind.
Vereinfachend und über alle Bundesländer im Durchschnitt gerechnet: Der Anteil der Kommunen an den öffentlichen Netto-Ausgaben der Kindertagesbetreuung mit Blick auf die Regelfinanzierung der Einrichtungen und der Tagespflege beläuft sich auf gut 60 Prozent, während der Anteil der Bundesländer bei knapp 40 Prozent liegt – im Durchschnitt über alle Bundesländer wohlgemerkt, mit einer großen Streuung.
Der Bund ist derzeit an der Finanzierung der Kindertagesbetreuung im Wesentlichen über eine anteilige Finanzierung der Kosten für den Ausbau an Plätzen für die Betreuung von unter dreijährigen Kindern beteiligt – es handelt sich also primär um eine anteilige Investitionskostenfinanzierung.
Allerdings gibt der Bund bereits heute Geld für die Betriebskosten der Kindertageseinrichtungen an die Bundesländer, ab dem Jahr 2014 werden mehr als 900 Mio. Euro an die Länder zur Finanzierung der Betriebskosten fließen. Dieser Aspekt ist wichtig für das hier vorgeschlagene Modell eines »KiTa-Fonds« mit einer regelgebundenen anteiligen Bundesfinanzierung der laufenden Kosten der Kindertagesbetreuung.
Die Kommunen stehen vor einem zentralen Dilemma: Auf der einen Seite haben sie den größten Teil der Kosten für den Regelbetrieb zu finanzieren. Auf der anderen Seite aber fallen die durch das Angebot an Kindertagesbetreuung generierten volkswirtschaftlichen Nutzen bei Ihnen aber nur in einem sehr geringen Umfang an – das gilt auch, wenn man sich nur auf den rein fiskalischen Nutzen beschränkt, also das, was in den öffentlichen Kassen ankommt. Die Bundesländer, vor allem aber der Bund und die Sozialversicherungen, profitieren aber ganz erheblich davon.
Fazit: Die gegebene Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland müsste folglich dahingehend korrigiert werden, dass die Ebenen unseres föderalen Systems, auf denen die meisten monetär messbaren Nutzen anfallen, in die Regelfinanzierung der Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege eingebunden werden.
Kontakt
Prof. Dr. Stefan Sell ist Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Hochschule Koblenz (ibus) und lehrt Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz, Campus Remagen.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/13 lesen.