Kinderrechte in der Kita
Vor dem Hintergrund einer möglichen Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz geraten diese in Deutschland mehr und mehr in den öffentlichen und auch politischen Diskurs. Doch in welcher Art und Weise sind Kinderrechte für Kinder selbst relevant? Wie nehmen Kinder in Kindertagesstätten ihre Rechte wahr? Daniel Roos geht der Frage nach, ob – und, wenn ja, wie – Kinder ihre Rechte kennen.
Am 20. November eines jeden Jahres findet der Internationale Tag der Kinderrechte statt. Das Institut für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit I Rheinland-Pfalz der Hochschule Koblenz hat es sich 2019 erstmalig zur Aufgabe gemacht, an diesem Tag durch unterschiedliche Aktionen auf verschiedenen Ebenen gezielt die Kinderrechte in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen. Ein Weg führte uns in eine Kindertagesstätte in Rheinland-Pfalz. Dort haben wir mit Kindern über Kinderrechte gesprochen, und es entstand ein spannender Diskurs. Die Gespräche mit den Kindern förderten sehr vielschichtige und interessante Erkenntnisse zu Tage. Doch bevor die genutzte Methode und die daraus resultierenden Erkenntnisse beschrieben werden, möchte ich mich mit den Kinderrechten als gesetzlichem Vorhaben auseinandersetzen.
Mehr als ein gesetzliches Vorhaben
Natürlich sind die Kinderrechte nicht bloß als ein gesetzliches Vorhaben zu betrachten, das der Gesetzgeber verabschiedet und das dann zu einem bestimmten Zeitpunkt durch das In-Kraft- Treten gültig wird. Durch eine gesetzliche Verankerung von Kinderrechten werden Kinder in unserer Gesellschaft zu eigenen Rechtsträgern, ebenso wie Erwachsene.1 Die gesetzliche Verankerung zieht demnach tiefgreifende Veränderungen im gesellschaftlichen Zusammenleben nach sich, da das Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen neu definiert werden muss.
In der Kindertagestätte treffen Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte aufeinander. Mit den Kinderrechten wird den Kindern ein gesetzliches Recht auf angemessene Beteiligung zugesichert. Doch der Begriff einer »angemessenen Beteiligung« bietet einigen Spielraum zur Interpretation. Denn nimmt man das Recht auf eine angemessene Beteiligung von Kindern ernst, so kommt man sehr schnell an den Punkt, kritisch darüber nachzudenken, wer den Kindern dieses Recht zuspricht. Der Soziologe Jörg Maywald betont in diesem Zusammenhang eine notwendige Rollenteilung zwischen Kindern und Erwachsenen. Er bezeichnet Kinder als Rechtsträger und Erwachsene als Verantwortungsträger. Diese Rollenteilung unterstreicht, dass letztlich die Erwachsenen dafür verantwortlich sind, dass Kinder ihre Rechte wahrnehmen können. Aus diesem Verständnis heraus wird ein vertiefender Blick darauf, in welcher Art und Weise Kinderrechte von Kindern selbst erfahren und wahrgenommen werden, unabdingbar.
Doch was genau ist eine »angemessene « Beteiligung? Von wem und wie werden die Definition und die Kriterien dafür am Ende festgelegt? Maywalds Rollenverständnis zeigt die hohe Bedeutung der Kindertagestätte als Ort der Kinderrechte. Die Kita birgt auch ein großes Potenzial als Türöffner, der den dafür notwendigen Diskurs zwischen Kindern und Erwachsenen befördern kann. »Der Diskurs als vertiefende Form des gemeinsamen Gesprächs ist nicht nur ein Türöffner zur Lebenswelt von Kindern, sondern auch Initiator von gemeinsamen reflexiven Prozessen zwischen Kindern und Erwachsenen über die Gestaltung des Zusammenlebens.«2
Dieses große Diskurspotenzial galt es im Rahmen der Aktion »Kinderrechte aus Kindersicht« zu nutzen. Kamishibai fördert den Diskurs Doch welche Methode ist geeignet, um mit den Kindern in einen vertiefenden Austausch einzutreten? Im Rahmen unseres Projektes wurde die Methode der diskursiven Bilderbuchbetrachtung genutzt. Als Medium wurde dabei nicht auf das klassische Medium des Bilderbuchs zurückgegriffen, sondern ein Kamishibai eingesetzt.
Das Kamishibai ist ein Erzähltheater aus Japan, das durch Bildkarten das freie Erzählen von Kindern besonders stimuliert.3 Es fordert die Kinder dazu auf, ihr Weltwissen, d.h. ihre Sichtweisen und Erfahrungen, zu äußern und in einen Diskurs mit dem Gegenüber einzutreten.
Was ist dein Wissen? Wo sind Unterschiede zwischen meinen eigenen Erfahrungen und den Erfahrungen des Gegenübers? Durch diesen Prozess des »In-Bezug-Setzens« entsteht ein vertiefender Austausch vom Weltwissen der Kinder untereinander und auch zwischen Kindern und Erwachsenen. Das Kamishibai bietet aus didaktischer Perspektive ein hohes Maß an Offenheit, um auf die Äußerungen der Kinder eingehen zu können, und fördert den kommunikativen Austausch zwischen den Beteiligten. Damit eröffnet die Methode des Kamishibai vielfältige Möglichkeiten, um einen breit gefächerten Diskurs anzuregen, in dem unterschiedliche Perspektiven und Sichtweisen zur Sprache gebracht werden können.
Daniel Roos M.A. ist Erzieher und Sozialpädagoge. Seit 2018 ist er am Institut für Bildung, Erziehung und Betreuung der Kindheit I Rheinland- Pfalz (IBEB) als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt »Qualitätsentwicklung im Diskurs – In Vielfalt stark werden« tätig.
Kontakt
1 Vgl. Maywald J. (2019): Kinderrechte und Demokratiepädagogik – Den Kinderrechtsansatz in der Kita verwirklichen. In: Schneider A., Jacobi-Kirst C. (Hrsg.): Demokratiepädagogik in Kindertageseinrichtungen. Partizipation von Anfang an. Opladen, S. 35-48
2 Roos D. (2019): Mit Kindern ins Gespräch kommen – Der Diskurs als Türöffner zur Lebenswelt von Kindern. In: Schneider A. (Hrsg.): Qualität im Diskurs entwickeln. Erfahrungen und perspektiven im kompetenten System der Kindertagesbetreuung. Weimar, S. 111
3 Vgl. Gruschka S., Brandt S. (2013): Mein Kamishibai. Das Praxisbuch zum Erzähltheater.
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05-06/2020 lesen.