Kulturelle Bildung: Draußen und nachhaltig – das geht! · Teil 3
Wie ermöglicht Kulturelle Bildung emotionales Lernen und gibt dadurch Impulse zu nachhaltigem Handeln? In diesem Teil der Serie beschreibt Sylva Brit Jürgensen ihre Outdoor-Erfahrungen im Projekt »Baum Gestalten« und fragt, wie sich die Perspektiven von Kindern und Erwachsenen durch aktives Gestalten draußen ändern.
Outdoor mit einer dritten Klasse heißt: Bäume im Wald zu fühlen und mit Holzkohle zu zeichnen, feuchtes Moos zu riechen, unterschiedliche Blattformen zu finden und gemeinsam im Laubbett zu liegen, um über Baumkronen und Waldbrände zu philosophieren. Genauso bedeutet es, Bäume als Skulpturen darzustellen, einen Baumbrief zu schreiben und mit Stockschwertern zu kämpfen.
Die Felder der Kulturellen Bildung sind wie geschaffen dafür, eine tiefe Verbindung zwischen Mensch und Natur zu knüpfen. Der Eindruck aus persönlichem Naturerleben findet gestalterischen Ausdruck in Bewegung und Klang, Malerei, Plastik und vielem mehr.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) möchte aktiv an der Gestaltung einer Welt mitwirken, in der Menschen respektvoll mit den Ressourcen dieses Planeten umgehen. Kulturelle Bildung und BNE haben also gleichermaßen zum Ziel, den Menschen zum Gestalter seines Lebens und der zukünftigen Welt zu machen.
Wie lernt man Bäume lieben?
Monate vor unserem Projekt war Johanna Pareigis mit einer Gruppe ZweitklässlerInnen im Glücksburger Wald, um Baumbabys auszubuddeln, die dann eingetopft und im Klassenraum gepflegt wurden.1 Am ersten Tag unserer Projektwoche »Baum Gestalten« kehrten die Kinder mit den Baumbabys in den Wald zurück. Sie suchten einen guten Platz unter einem Baum aus und schrieben aus dessen Perspektive einen Brief an ihr Baumbaby. Am zweiten Tag wurde es an einen guten Platz umgepflanzt, der mit Naturmaterialien individuell und kreativ gestaltet wurde.
Um die Unterschiedlichkeit von Bäumen ging es am dritten Tag. Während wir im Klassenraum auf die Kinder warten, befestigt die Lehrerin Antje Smorra eine Papierrolle auf dem Fußboden. Sie stellt eine Kiste Wachsmaler und grüne Stempelkissen dazu und malt als stummen Impuls einen Baum. Spontan knien sich fünf, sechs Kinder hin und malen oder drucken Bäume, die sich in ihrer Gestalt unterscheiden. Ein Kind malt eine Motorsäge dazu, ein anderes ein großes Feuer zwischen die Baumreihe. Wir kommentieren es nicht, die Bäume sind intuitiver Ausdruck des regionalen wie globalen Weltgeschehens.
Kurze Zeit später wandern wir los. Unser Weg führt an der Königseiche am Schlossteich vorbei, die König Friedrich VII. vor ca. 170 Jahren gepflanzt hat. Sie hat einen beeindruckenden Umfang, und wir pausieren staunend. Wer kann sich in diese Eiche verwandeln? Der Impuls bringt Bewegung in die Gruppe. Die Kinder springen in Körperhaltungen, die der Gestalt dieser riesigen knorrigen Eiche entsprechen: Füße werden breit gesetzt, der Rumpf etwas abgeknickt, die Arme in den Ellbogen und Handgelenken mit Körperspannung angewinkelt.
Das kleine Rollenspiel bietet den Kindern einen Zugang zur Baumform der Eiche. Die Kinder identifizieren sich über die eigene spielerische Rolle mit der Gestalt des Baumes.2 Auf dem weiteren Weg fühlen wir uns noch in eine Buche und eine Weide ein und verkörpern diese. Ein paar Mädchen spielen dieses Spiel mit Eichen, die in den Schlossteich wachsen, weiter. Das Spiel setzt sich fort, bis wir an unserem Lieblingsplatz im Buchenwald ankommen.
Blindes Vertrauen
Ich bitte die Kinder, sich unbemerkt einen Lieblingsbaum auszusuchen. Durch ein Fühlmemory finden alle einen zufälligen Partner oder eine Partnerin. Anschließend sprechen sich die Paare ab, wer zuerst den anderen mit einer Augenbinde zu seinem Lieblingsbaum führt. Das Kind mit den verbundenen Augen ertastet die Rinde und merkt sich die Besonderheiten. Dann wird es wieder zum Ausgangspunkt zurückgeführt und errät sehend den erfühlten Baum.
Diese unscheinbar wirkende Übung braucht Mut und Vertrauen, sich auf den anderen einzulassen. Am Ende eines wackeligen Weges steht ein Baum und bietet ein sicheres und starkes Ankommen. Die ZweitklässlerInnen nehmen ihre PartnerInnen an und führen und fühlen sehr ernsthaft und achtsam.
Um diesen Eindruck zu vertiefen, verwandeln sich die Kinder nacheinander in ihren Lieblingsbaum und zeichnen sich gegenseitig vor diesem in ihrer »Baumgestalt« mit Holzkohle. Diese dialogische Übung schult die Eigen- und Fremdwahrnehmung. Der Fokus liegt auf dem Ausdruck der Baumgestalt, dem Gesehen-werden-Wollen, dem Wahrnehmen und Verändern der Perspektive.
Die Kinder wirken konzentriert und überprüfen ihre Körperhaltungen genau. Verdrehungen oder Geradlinigkeit des Stammes sind sichtbar, Verzweigungen der Hauptäste und Weiterführung der Wurzeln auch. Die Zeichnungen spiegeln die eigenen Bewegungserfahrungen der Kinder und zeigen, dass sie das Wahrgenommene als Bewegungsspur auf dem Papier fixieren können.
Als Zeichenmaterial dient Holzkohle, die aus der Verkohlung von Zweigen hergestellt wurde. Die Bewegungsspuren der Kinder können nicht radiert werden, der Ausdruck auf dem weißen Papier ist kräftig – eine Herausforderung, der sich die Kinder erfolgreich stellen.
Als alle Kinder fertig sind, lege ich die Bilder in einen Kreis auf den Waldboden. Wir stellen uns um die Bilder, und ich bitte die Kinder, ihre Erfahrungen mit allen zu teilen. »Jeder Baum ist er selbst« oder »Manche sind ähnlich, aber kein Baum ist so wie ein anderer«, sagen die Kinder und zeigen damit Bewusstheit, vor lauter Wald die einzelnen Bäume wahrnehmen zu können.
Sylva Brit Jürgensen ist Sonderschullehrerin, Spiel- und Theaterpädagogin, systemischer Coach, Mitbegründerin und Dozentin der NaturSpielpädagogik an der FH Kiel. Sie gibt Fortbildungen, hält Vorträge und schreibt Artikel über Nachhaltiges Lernen, BNE und Spielpädagogik. Überzeugt von der Natur als nachhaltigster Bildungseinrichtung, gründete sie in Flensburg eine Freie Naturgrundschule. Sie ist Mitglied der »Bewegung Lernen im Freien«. Das Projekt »Baum Gestalten« ist Teil des Programms »Schule trifft Kultur – Kultur trifft Schule« (www.kulturvermittler-sh.de/#text=baum+gestalten).
Kontakt
www.fh-kiel.de/index.php?id=3051
1 Pareigis J. (2020): Ein guter Platz zum Wachsen. Kulturelle Bildung: Draußen und nachhaltig – das geht! (Teil 1). In: Betrifft KINDER 05/06-20
2 Corleis F. (2006): Schule: Wald. Der Wald als Ressource einer Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Schule. Lüneburg, S. 118
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 09-10/2020 lesen.