Eine Stunde Wunderland
Kinder der Kita Kochstraße des Eigenbetriebs Kindergärten City haben die bunten und unendliche Räume öffnenden Installationen des japanischen Kunst- Superstars Yayoi Kusama im Berliner Gropius Bau besucht. Tobias Kügler und Jutta Gruber begleiteten sie auf einem Ausflug in nicht alltägliche Welten.
Dass ein Ausflug in die Ausstellung »Yayoi Kusama – Eine Retrospektive. A Bouquet of Love I Saw in the Universe« auch für Kita-Kinder spannend ist, wussten wir sofort. Die japanische Künstlerin beherrscht das Prinzip der Immersion, des Eintauchens in ungeahnte Welten. Virale Selfies aus den Infinity Mirror Rooms des Kusama-Universums, z.B. auf Instagram, zeigen weltweit verzückte BesucherInnen. Daher waren wir überglücklich, als wir erfuhren, dass uns trotz Einschränkungen durch die Corona- Pandemie und inmitten der Sommerferien Shirin Krieg und Michaela Englert vom museumspädagogischen Team Ephra anderthalb Stunden durch die Ausstellung begleiten werden. Für diesen Zeitraum ist das Museum ausschließlich für uns geöffnet!
Bereits im Foyer entdecken die acht Vier- bis Sechsjährigen ein eigentümliches pinkes Leuchten. Auf die Frage, ob wir wüssten, was hier eigentlich auf uns wartet, tippt die sechsjährige Eylül spontan auf: »Vielleicht eine Party?« Die Party entpuppt sich als eine riesige, pinke, schwarzgepunktete und wabernde Tentakel-Landschaft, die den gesamten und für sich bereits imposanten Lichthof einnimmt. Der Name der Installation gab der Ausstellung ihren Titel: Ein Strauß aus Liebe, den ich im Universum sah!
Während sich die Großen noch wie eine schrumpfende Alice im Wunderland fühlen, laufen die Kinder bereits kreuz und quer durch dieses 600 Quadratmeter große Universum. Eins der Kinder findet, das alles sei wie eine große Hüpfburg, und Marc, der ein bisschen vorausgelaufen ist, ruft zu den anderen zurück: »Eine mit Tentakel-Armen! Unter denen kann man ja durchlaufen!«
Gucken erlaubt
Leider müssen die Erwachsenen intervenieren, denn aus konservatorischen Gründen ist Anfassen, Rennen, Klettern, Hineinspringen oder Rutschen verboten. Wir müssen lernen, dass trotz aller haptischen und ästhetischen Qualitäten, trotz aller Konzepte von Immersion, die klassischen Spielregeln des Museums nicht abgeschafft sind. Eigentlich wäre es großartig, wenn ein solcher Tentakel, gern als Miniatur, oder der eine oder andere Gegenstand oder sogar einer der Infinity Mirror Rooms als Nachbildung zur Verfügung stehen würden. Als Replik, die nicht dem Berührungstabu unterliegt und mit der Kinder frei und ungezwungen explorieren könnten.
Also verbleiben wir dabei, Kusamas Malereien, Skulpturen und Räume insbesondere mit den Augen aufzunehmen, einen bestimmten Bewegungsradius einzuhalten und Inspirationen für die Gestaltung eigener immersiver Räume – die auch berührt und verändert werden dürfen – in die Kita mitzunehmen. Im nächsten Raum lassen wir die frühen Zeichnungen und Malereien Kusamas auf uns wirken. Die Kinder sind unter anderem davon beeindruckt, dass »das so viele sind«. Ein ums andere Mal stellen sie die Frage »ob die alle die eine Frau gemalt hat«. Eylül kommentiert ein Bild mit den Worten: »Das ist eine wahre Künstlerin!« Außerdem findet sie das überlebensgroße Wandfoto »cool«, das Kusama inmitten einer ihrer berühmten Installationen zeigt. Sie möchte unbedingt zusammen mit Yasmin davor fotografiert werden.
Anderen Kindern bereitet es Schwierigkeiten zwischen Malereien und Fotos zu unterscheiden und zwischen der Installation selbst und dem großformatigen Foto der Installation. Sie fragen, ob die Künstlerin auch die Fotos gemalt hat und warum man sie auf dem Foto in der Installation sieht, sie in der ausgestellten Installation aber verschwunden ist. Die Kinder versuchen, ihre Eindrücke und die ihnen vermittelten Informationen über die Künstlerin in Einklang mit ihrer eigenen Lebenspraxis zu bringen. Sie wundern sich, dass Kusama weit entfernt in Japan lebt, wir aber von all den Dingen umgeben sind, die sie geschaffen hat oder doch ihr gehören müssen.
Einige fragen, wer die Bilder hierhin gebracht hat, ob bzw. wann Kusama sie wieder holen kommt, ob sie vielleicht schon hier ist oder wir sie treffen werden, wenn sie aus dem »Urlaub« zurückkommt. Sie erfahren, dass sie schon eine sehr alte Frau ist, aber trotzdem noch jeden Tag malt. Vielleicht sogar jetzt gerade, und dass ihre Bilder beschützt werden müssen (z.B. vor dem Anfassen), weil sie sehr teuer sind. Die Kinder staunen, dass ein Bild so viel kostet wie ein neues Auto und dass nicht alle Bilder Kusama gehören, sondern ganz vielen verschiedenen Leuten oder Museen, denen sie die Bilder verkauft hat. Am meisten staunen sie darüber, dass all die vielen Leute und Museen die Bilder ausgeliehen haben, damit wir sie anschauen können.
Tobias Kügler ist Kulturwissenschaftler und Erzieher an der Kita Kochstraße des Eigenbetriebs Kindergärten City. Mit der Journalistin Jutta Gruber verbindet ihn die Leidenschaft für Ästhetik.
Kontakt
www.juttagruber.de
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 09-10/2021 lesen.