Michele Zini berichtet, warum eine Umgebung, die gut für die Sinne und die Gefühle ist, Architekten und Erzieherinnen braucht, die als Team arbeiten. Er beschreibt im Einzelnen, was nötig ist, um einen solchen Raum zu erfinden.
Forschungen in den Neurowissenschaften und den Sozialwissenschaften bestätigen, dass unsere Identität sich sowohl durch unsere Erfahrungen mit der Umwelt herausbildet als auch durch unseren genetischen Ursprung entsteht. Wenn wir geboren werden, sind unser Gehirn und unsere Fähigkeit, die Realität wahrzunehmen und zu erfahren, noch nicht ausgeformt und definiert, warten aber – wie die Knospe einer Blume – darauf, sich zu entfalten.
Wir entwickeln unsere Sinne und kognitiven Fähigkeiten über die Interaktion mit unserer Umwelt. Deshalb formen unterschiedliche kulturelle Umgebungen unsere Wahrnehmung auf unterschiedliche Weise. Inuit-Kinder haben zum Beispiel viele unterschiedliche Begriffe für das, was wir einfach »Schnee« nennen.
Die Sinne vermischen
Unser Gehirn entwickelt sich immer weiter – über die Zeit der Kindheit bis zum Ende der Adoleszenz. Aber in den ersten Monaten und bis zum Alter von sechs Jahren entwickeln unsere Wahrnehmungsfähigkeiten und die kognitiven Fähigkeiten ihre konkrete Form. Kinder sind ein Labor für die Sinne und aktivieren mit jeder Sinnesaktivität wieder andere Sinne. Sie haben eine synästhetische Fähigkeit: Sie »sehen« die Temperatur, sie »spüren« das Licht, sie »schmecken« Gerüche. Die Kindertagesstätten für die frühe Kindheit und ganz allgemein die Umwelt in der Kindheit bilden eine riesige Werkstatt der Sinne, in der ein Kind sein Wissen aufbaut. Die Umgebung kann die individuellen Lernwege der Kinder unterstützen und anregen, die kognitiven Prozesse und die Wahrnehmung beeinflussen und zur Ausbildung der individuellen Identität eines Kindes beitragen.
Im Ergebnis darf man die Umgebung eines Kindes nicht nur als Kontext zum Lernen oder als passives Setting für Aktivitäten ansehen; sie ist vielmehr ein integraler Teil des Lernens und hilft dem Kind dabei, seine Identität zu definieren.
Kinder profitieren von einer reichen, anregenden Umgebung, die ihnen viele verschiedene Möglichkeiten bietet, zu experimentieren, zu forschen, zu überprüfen und zu entwickeln.
Eine solche Umgebung zu planen, ihr Design, ihre Möblierung und alle vorhandenen Gegenstände zu planen, das erfordert eine effektive Zusammenarbeit zwischen Architekten, Planern, Erziehern, Lehrern und Politikern.
Die Studie von Reggio Emilia und der Domus Academy (»Kinder, Räume, Beziehungen – Projekt für eine Umgebung für junge Kinder«, Reggio Children 1998) empfiehlt Kriterien, die genutzt werden können, um eine Umgebung zu entwickeln, in der die Kinder sehen, fühlen, hören, schmecken, riechen, spielen, erkunden und experimentieren können und in der sie sich vor allem geliebt fühlen.
Die Planung von Einrichtungen für die frühe Kindheit
Kindertagesstätten sollten viele verschiedene Erfahrungen bieten: die Entwicklung von Beziehungen und Gelegenheiten zum Experimentieren; sie sollten Erfahrungen anbieten und Informationen bereithalten – alles mit Blick auf die größtmögliche Zahl von Verbindungen und Beziehungen, die ein Kind knüpfen kann. Die Tagesstätte soll keine Insel sein, sondern eher ein Gebilde, das sowohl abgibt als auch aufnimmt, das in die zeitgenössische Kultur eintaucht und das es zulässt, von Gefühlen, Tatsachen, Wünschen und Neuigkeiten erfüllt und durchflutet zu werden.
Sie sollte von der Gesellschaft durchdrungen werden, aber nicht schutzlos, mit Projekten, die filtern und anleiten, die als Membran und Berührungspunkte dienen. Mir scheint, die Zentren sollten nicht den Bauten des Schweizer Architekten Le Corbusier ähneln, die er sich als »Maschinen, um darin zu leben« vorstellte und die die Aktivität des Lebens unterstützen; sie sollten vielmehr »Maschinen, die herausfordern«, sein, die Kindern dabei helfen, zu wachsen und ihre individuelle Identität und ihre Gruppenidentität zu definieren, indem diese Bauten einen dreidimensionalen Berührungspunkt zwischen dem Kind und der Welt anderer Lebewesen (Kinder, Erwachsene, Tiere und Pflanzen) und der Gegenstände bieten.
Eine Kindertagesstätte ist wie ein großer Inkubator, ein Ort des Arbeitens, Lernens, Spielens, Schlafens, der kulturellen Aktivität, des Experimentierens, in der auch Fehler gemacht werden. Es ist eine sich immer wieder verändernde Umwelt, in der Design, Möblierung, Systeme und Berührungspunkte verschiedene Aktivitäten am selben Ort zu verschiedenen Tageszeiten ermöglichen – ohne ein vorherbestimmtes Programm, sondern auf der Basis von Entscheidungen, die Kinder und Erzieher zu einer bestimmten Zeit fällen.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa 08 lesen.
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