Seit fast einem Jahrzehnt sind integrierte Einrichtungen politisches Ziel in Großbritannien, wenn es um junge Kinder geht. Bronwen Cohen und Lisa Harker erklären, dass das Konzept verschiedener Dienste unter einem Dach nicht zu erreichen ist, so lange die Kinderbetreuung als private Ware betrachtet wird, die man den Eltern verkaufen will.
Einrichtungen für die frühe Kindheit sind in Großbritannien ein sehr unterschiedlicher »gemischter Wirtschaftsbereich«. Neben öffentlichen Einrichtungen, finden sich auch Träger in einem großen privaten Bereich, der sowohl profitorientiert als auch gemeinnützig (mit Freiwilligen) arbeitet. Der quantitative Ausbau der Plätze war im letzten Jahrzehnt ein Hauptziel der Politik. Das System ist jedoch konzeptuell und strukturell zersplittert und uneinheitlich geblieben, wodurch ein weiteres strategisches Ziel der Politik behindert wurde – die ganzheitliche Herangehensweise.
Der quantitative Ausbau der Plätze war im letzten Jahrzehnt ein Hauptziel der Politik. Das System ist jedoch konzeptuell und strukturell zersplittert.
Eine »Mischwirtschaft«
Kindertageseinrichtungen in Großbritannien bildeten immer einen »gemischten Wirtschaftsbereich« aus öffentlichen, privaten und gemeinnützigen (freiwilligen) Trägern. Wechselnde Regierungen, rechte wie linke, haben dieses Konzept mit der Begründung vertreten, es biete Flexibilität und Wahlmöglichkeiten. Örtlich zuständige Verwaltungen stellen Angebote frühkindlicher Bildung für drei- und vierjährige Kinder als gesonderte Einheiten in Schulen bereit. Die Plätze in den nurseries stehen zumeist nur als Teilzeitangebote zur Verfügung. Eine Reihe von Plätzen sind in anderen Einrichtungen der Gemeinden – wie etwa Kinder- und Familienzentren – verfügbar. Zugleich fungiert die örtliche Verwaltung auch als Auftraggeber, in dem sie Plätze oder Angebote für Kinder mit besonderem Betreuungsbedarf bei anderen Trägern finanziert.
Eine Vielzahl von Einzelpersonen und Unternehmen bilden den großen privaten, kommerziellen Sektor. Dies umfasst sowohl große Unternehmen mit vielen Einrichtungen, als auch verschiedenartige Einrichtungen, die Privatschulen angegliedert sind, oder kleine Kindergärten in der Hand eines einzelnen Besitzers und auch viele Tagesmütter, die praktisch alle als Selbstständige arbeiten. Der Anteil profitorientierter Einrichtungen in Großbritannien ist groß: 90 Prozent aller Kindergärten werden als Wirtschaftsunternehmen geführt, die im Jahre 2005 etwa 5,14 Milliarden Euro Wert waren.
Doch es existiert auch ein bedeutender freiwilliger bzw. gemeinnütziger Sektor. Er umfasst eine Reihe von Einrichtungen, die von Elterngruppen und Wohltätigkeitsorganisationen getragen werden, darunter Spielgruppen, Kindergärten, Familien- und Gemeindezentren. Sieben Prozent aller Kindergärten in Großbritannien werden von gemeinnützigen Trägern betrieben. (Wir verwenden den Begriff privater Sektor im folgenden, um beide – kommerzielle wie gemeinnützige – Träger zu bezeichnen.)
Das Bild ist jedoch nicht überall in Großbritannien gleich. In Schottland und Wales gibt es mehr öffentliche Einrichtungen als in England. Die Träger unterscheiden sich auch nach dem Alter der Kinder in den Einrichtungen. Die meisten der Kinder unter vier Jahren werden im privaten Sektor betreut. Aber die große Mehrheit der Vierjährigen – 80 Prozent –, die in England an der Früherziehung teilnehmen, besuchen Angebote im Zusammenhang mit öffentlichen Schulen. Nebenbei: das Einschulungsalter liegt bei fünf Jahren.
Zwischen den Sektoren bestehen deutliche Unterschiede. Das Personal im privaten Sektor hat im Allgemeinen eine niedrigere Qualifikation, verdient weniger Geld und hat nicht dieselben Arbeitsbedingungen wie die Beschäftigten im öffentlichen Sektor. Die Gehälter für vergleichbare Positionen sind bei öffentlichen Trägern in England um durchschnittlich 25 Prozent höher als bei privaten. Eine Untersuchung im Jahr 2001 fand heraus, dass höhere Bezahlung, kürzere Arbeitszeit und längerer bezahlter Urlaub eine ausgebildete Fachkraft im öffentlichen Sektor in Schottland fast doppelt so teuer macht wie bei den Privaten. Diese Unterschiede können eine Ursache für die geringere Stabilität der privaten Anbieter sein. Häufig werden Einrichtungen geschlossen und der Personalwechsel ist hoch, auch im Vergleich mit anderen Kleinunternehmen.
Zwei andere Unterschiede zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor sollten nicht übersehen werden. Zum einen werden öffentliche Einrichtungen, vor allem die nurseries an Schulen, tendenziell kostenlos und für alle bereitgestellt, doch nur für wenige Stunden pro Tag, was nicht auf die Bedürfnisse vieler Eltern ausgerichtet ist. Private Angebote, vor allem kommerzielle Kindergärten und Tagespflege, bieten ihre Dienstleistungen ganz im Hinblick auf die Arbeitszeiten von Eltern an. Sie sind davon abhängig, dass Eltern die Beiträge bezahlen können. Das Ergebnis ist ein sehr zersplittertes, uneinheitliches System. Kinder im Kindergartenalter müssen häufig verschiedene Einrichtungen besuchen, damit die nötigen Betreuungszeiten abgedeckt werden – zu einem Preis, den sich ihre Eltern leisten können. Eine schottische Mutter beschreibt das so: »Als Mutter von zwei jungen Kindern, die in Teilzeit arbeitet, werden die Möglichkeiten, die sich mir bieten, immer weniger und immer schwieriger, je älter die Kinder werden. Mein dreijähriger Sohn kann nicht in den öffentlichen Kindergarten in der Nachbarschaft besuchen, weil dies dort nur fünf Vormittage oder Nachmittage möglich ist. Deshalb bringe ich ihn in einen privaten Kindergarten mit einigen freien Zeiten. Meinen jüngeren Sohn, der 13 Monate alt ist, aber muss ich in einen anderen privaten Kindergarten bringen, weil der Kindergarten des älteren Kinder unter zwei Jahren nicht aufnimmt. Und der Kindergarten meines jüngeren Sohnes stellt wegen der damit verbundenen Bürokratie keine subventionierten Plätze bereit.«
Zum zweiten ist die Finanzierung unterschiedlich. Öffentliche Gelder für Kindertageseinrichtungen werden meistens aufgewandt, um allen Drei- und Vierjährigen einen freien Zugang zur Früherziehung zu verschaffen, allerdings nicht ganztags. Das meiste Geld wird davon im öffentlichen Bereich selbst verbraucht. Einkommensschwächere Familien erhalten eine direkte finanzielle Unterstützung in Form von Steuerreduzierungen – abhängig von der Höhe ihres Einkommens. So wird der Besuch einer Kindertageseinrichtung gefördert. Zusätzlich erhalten Träger des privaten Sektors zeitlich begrenzte Subventionen, als Anreiz, sich an neuen Initiativen, vor allem in ärmeren Regionen, zu beteiligen. Ein Beispiel dafür sind die 3500 Kinderzentren in England, mit dem Ziel, eine große Vielfalt von Angeboten für Kinder und Familien »unter einem Dach« anzubieten.
Das Personal bei privaten Trägern hat im Allgemeinen eine niedrigere Qualifikation, verdient weniger Geld und hat nicht dieselben Arbeitsbedingungen wie die Beschäftigten im öffentlichen Bereich.
Welche Themen stehen heute an?
Seit 1997 gibt es in Großbritannien den Druck, mehr Kinderbetreuung bereitzustellen. Das wird vorrangig vom starken Interesse der Regierung vorangetrieben, die Berufstätigkeit von Müttern zu fördern und die hohen Quoten an Kinderarmut zu senken. Die Regierung befand sich in großer Abhängigkeit vom privaten Sektor und hat sich am Markt orientiert, um für mehr für Kindertagesbetreuung zu sorgen. Gleichzeitig wurden Anstrengungen für mehr »integrierte« Strategien und Angebote unternommen. Alle Einrichtungen der Früherziehung unterstehen in Großbritannien jetzt der Verantwortung der Bildungsministerien oder werden das bald tun. Zugleich wird durch verschiedene Programme – wie dem überall verbreiteten Sure-Start-Programm zur Unterstützung junger Familien in sozial benachteiligten Gebieten und dem Kinderzentrenprogramm (Early Excellence Centres) in England – versucht, die Bedürfnisse junger Kinder in benachteiligten Gemeinden mit ganzheitlicher Herangehensweise zu befriedigen (siehe Beispiele). Diese Strategie des aufeinander abgestimmten Vorgehens ist ehrgeizig. Sie geht davon aus, dass Kinder in Vorschuleinrichtungen nicht nur betreut oder zum Lernen angeregt werden, sondern sich auch einen gesunden Lebensstil aneignen und staatsbürgerliche Fähigkeiten entwickeln können sollen, um nur zwei der Ziele zu nennen.
Doch wie effektiv ist die gegenwärtige Struktur, um die erweiterte Tagesordnung zur Förderung kombinierter Einrichtungen umzusetzen? Verschiedene Einrichtungen »unter einem Dach« zu integrieren – oder eng zu kooperieren – erfordert eine neue Art zu arbeiten, besonders für die Privaten. Einrichtungen von öffentlichen Trägern gelingt es eher Verbindungen zu anderen Diensten knüpfen. Beispielsweise arbeiten Vorschulen der örtlichen Verwaltungen in einigen Teilen Schottlands mit Grund- und Mittelschulen zusammen in dem größeren Rahmen von »lernenden Gemeinden« (siehe Beispiel aus Bridgeton).
In England liegt ein großer Teil der Verantwortung für die Umsetzung der politischen Ziele bei den örtlichen Verwaltungen. Die neue Gesetzgebung verlangt von ihnen sicherzustellen, dass Einrichtungen verfügbar sind, indem sie den Markt der Kinderbetreuung »bewirtschaften«. Das bedeutet, Bedarf und Angebot zu erheben, Träger anzuleiten, nachfragegerecht zu arbeiten, und Einrichtungen dort in Auftrag zu geben, wo keine existieren. Doch zugleich schränkt die Politik die örtlichen Verwaltungen dabei ein, selbst Betreiber von Einrichtungen zu sein, indem sie ihnen eine Trägerschaft nur erlaubt, wenn in der Region kein anderer Träger vorhanden ist. In anderen Teilen Großbritanniens wird die Rolle der örtlichen Verwaltungen weniger eingeschränkt, doch die Betonung der »Mischwirtschaft« ist auch dort deutlich erkennbar.
Schritte, die zu einer integrierten Herangehensweise führen, werden durch fortdauernde Unterschiede zwischen beiden Sektoren behindert. Manch Konflikt ist konzeptionell begründet. Die Regierung neigt immer noch dazu, »Kinderbetreuung« als eine Ware anzusehen, die den Eltern verkauft werden soll. Von anderer Seite hingegen wird »Frühkindliche Bildung und Erziehung« als ein »öffentliches Gut« angesehen, das der Staat garantieren muss, damit es für alle Kinder zugänglich wird. Das ist mit strukturellen Unterschieden verbunden, zum Beispiel in der Finanzierung und in der Personalausstattung. Darin ist der private Sektor vorrangig von den Gebühren der Eltern und niedrig qualifizierten Beschäftigten abhängig, während dem öffentlichen Sektor öffentliche Subventionen und höher qualifiziertes (und besser bezahltes) Personal zur Verfügung stehen. Erforderlich ist eine Annäherung beider Bereiche, d.h. mit beispielsweise ähnlicher Finanzierung, Bezahlung und Arbeitsbedingungen für das Personal.
Die Möglichkeit örtlicher Verwaltungen, sich bei solchen nationalen Fragen einzumischen, bleibt begrenzt, was vermutlich dazu führen wird, dass die Einrichtungen uneinheitlich bleiben und zu einem großen Teil davon bestimmt werden, was die Eltern bezahlen können – und nicht davon, was die Kinder brauchen. Nur wenn man diese Probleme angepackt, werden alle Bereiche in der Lage sein, einen langfristigen Beitrag zum öffentlichen Wohl zu leisten.
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