Irene Balaguer würdigt Leben und Werk einer leidenschaftlichen Kämpferin für Demokratie und Bildung, einer treibenden Kraft bei der Reform der Bildung für die frühe Kindheit in Spanien.
Die Pädagogik hat viele berühmte Namen, die man überall in Europa und darüber hinaus kennt: Namen wie Pestalozzi, Fröbel, Dewey, Montessori, Freinet, Malaguzzi. Aber es gibt noch viele andere, die einen wichtigen Beitrag zur Bildung geleistet haben und außerhalb ihrer Länder nicht so gut bekannt sind. Menschen wie Marta Mata i Garriga, eine katalanische Pädagogin, die grundlegenden Einfluss auf die pädagogische Erneuerung in unserem Land gehabt hat, besonders im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, beispielsweise auf die Ausbildung von Lehrern und die Bildungsgesetze der noch jungen spanischen Demokratie.
Marta wurde im Jahre 1926 in Barcelona geboren. Sie wuchs in einer Umgebung auf, die es ihr leicht machte, die große Bedeutung der Bildung zu verstehen und die Unterschiede zu begreifen zwischen der einen und der anderen Art von Bildung, zwischen dem einen und dem anderen Schultyp, der einen und der anderen Vorstellung von Kindheit. Martas Eltern waren Lehrer, Mitglieder jener Gruppe an der Wende zum 20. Jahrhundert, die dafür ausgebildet war, um einer neuen Form von Bildung ans Licht der Welt zu verhelfen, einer aktiven Bildung an einer Schule, deren Ziel es ist, Menschen zu emanzipieren.
In den dreißiger Jahren, während der wenigen Jahre der spanischen Republik, erlebte das Land eine außerordentliche kulturelle, soziale und politische Zeit, die zur Verwandlung der pädagogischen Ideen und der pädagogischen Praxis führte. Neue Kommunikationswege wurden mit den internationalen Bewegungen und den großen Pädagogen jener Zeit entwickelt. Als Kind erlebte Marta diese neue Pädagogik an einer Schule, die die Kinder respektierte, ihre Fähigkeiten und Interessen schätzte und sie in einer Umgebung voll gegenseitigen Respekts und demokratischen Lebens wirklich frei sein ließ.
Auf dieser Erfahrung baute Marta Mata ihren ernsthaften und fruchtbaren Dienst an der Bildung auf, der nach meiner Auffassung von drei wesentlichen Zügen charakterisiert wird:
Praxis und Theorie
Marta stellte sich unter »Praxis« etwas vor, das ständig im Dialog mit der Theorie stehen muss, in einem Dialog unter Gleichen, der das beidseitige Wachstum zulässt. Diese Idee war für sie mit dem Konzept der Neuen Schule verknüpft, einer Schule, die als pädagogisches Labor verstanden wurde. Das Konzept war vom Programm der Neuen Schule inspiriert, das 1912 in Genf veröffentlicht worden war und eine internationale Bewegung von großer Bedeutung in Europa auslöste. In der Gründung der Escola de Mestres Rosa Sensat (Rosa-Sensat-Lehrerschule) im Jahre 1965 gewann das Programm seinen konkreten Ausdruck. Zu der Zeit litt Spanien noch unter der Diktatur, und es ging darum, die nach den Vorstellungen von Francos Schule ausgebildeten Lehrer zu »neu zu formen – zu reformieren«. Diese Lehrer arbeiteten morgens an den Schulen, und am Nachmittag erlernten sie neue Methoden, die auf anderen als den bisher für sie gültigen Theorien beruhten. Es war eine offene Ausbildung, ohne Grenzen, und die Diskussion war die Basis dieser Arbeit.
Jedes Jahr setzt die Rosa-Sensat-Lehrerschule seitdem eine Ausbildungsform fort, die schon damals, in den Zeiten der Franco-Diktatur, begonnen hat: die Sommerschule, an der Tausende Lehrer teilnehmen. Für 14 Tage kommen Lehrer während der Ferienzeit zusammen, um etwas über neue und alte Bildungsideen zu lernen.
Pädagogik und Politik
Nach Martas Auffassung braucht man, um die Schule zu verändern, ausgebildete Lehrer, die imstande sind, selbstständig zu denken, und im Dialog mit den Menschen und der Gesellschaft eine »freie« Bildung für Kinder verteidigen. Doch diese Lehrer brauchen auch eine neue Politik und neue Gesetze, damit sie wirklich eine neue pädagogische Realität entwickeln können. Marta war in der Lage, diese Beziehung zwischen Pädagogik und Politik anzuregen, an den Sommerschulen zeigte sich das besonders deutlich. Dort konnten die Lehrer die wichtigsten sozialen und politischen Themen, die mit Bildung zu tun haben, diskutieren.
Es ist wichtig, hier das Dokument zu erwähnen, dass in der zehnten Sommerschule im Jahre 1975 entstand: »Für eine neue öffentliche Schule«. Das war eine Erklärung der Lehrer, die selbst noch von Demokratie und von den Aktionen träumten, die nötig waren, um Schule und Bildung zu demokratisieren. Vieles aus diesem Dokument können wir in der spanischen Verfassung von 1979 und in den wichtigsten Bildungsgesetzen aus dem demokratischen Spanien der Nach-Franco-Ära wiedererkennen: Im LODE-Gesetz, das das Recht auf Bildung und Partizipation festschreibt, und im LOGSE-Gesetz, das das Bildungssystem von null bis 18 Jahren definiert und die Zeit von der Geburt bis zu sechs Jahren als erste Stufe des Bildungssystems festlegt.
Marta Mata vertrat bei vielen Gelegenheiten die Auffassung jener Lehrer, die tiefgreifende Veränderungen in Schule und Bildung wollten. Als Politikerin, die dem Sozialismus verpflichtet war, ergänzte sie die Pädagogik durch Politik. Während der intensiven Debatte über die Sprache an den Schulen in Katalonien zum Beispiel überzeugte Marta alle, dass die Kinder in ihrem eigenen Interesse und im Interesse einer nicht gespaltenen Gesellschaft nicht an separaten katalanischen und spanischsprachigen Schulen unterrichtet werden sollten. Die Schulen sollten den Kindern vielmehr die Gelegenheit geben, einander zu begegnen, zusammenzuleben, Freundschaft miteinander zu schließen und einander zu verstehen.
Ihre politische Verantwortung in den spanischen und katalanischen Parlamenten und im Stadtrat von Barcelona lenkte Marta nie davon ab, ihre Arbeit mit den Lehrern fortzusetzen. Währen der Sommerschule im Jahre 2005 leistete sie einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der neuen Deklaration: »Für eine neue öffentliche Schule«. Ein Dokument, das zugleich bescheiden und ambitioniert ist, das optimistisch in die Zukunft blickt und darauf abzielt, die Grenzen zu öffnen, die heute noch eine öffentliche Bildung für alle verhindert.
www.rosasensat.org/marco.htm
Beteiligung und Demokratie
Martas tiefe Hingabe an die Demokratie führte dazu, dass Mitwirkung und Beteiligung Anderer ganz selbstverständlich zu ihrem täglichen Leben und zu der Art gehörten, wie sie mit anderen Menschen arbeitete und über Fragen des Bildungsmanagements dachte. Die Bedeutung, die sie der Teamarbeit beimaß, ihr Vertrauen zu Kollegen oder anderen Gruppen, ihre Fähigkeit, Verantwortung zu delegieren – das führte dazu, das alles, womit Marta zu tun hatte, wachsen und sich vermehren konnte.
Neben diesem persönlichen Stil haben ihre Ideen Schule und Bildung für alle geöffnet. Sie verteidigte das Recht von Kindern und jungen Leuten, von Familien und Lehrern auf Beteiligung und Mitwirkung; sie verteidigte das Recht, gehört zu werden und an Entscheidungen mitzuwirken ebenso wie das Bedürfnis der Lehrer, zu lernen, wie man Anderen zuhört – den Kindern, den Familien und der Gesellschaft.
Was wollte Marta Mata für die jüngsten Kinder erreichen, für die Kleinen von der Geburt bis zum Alter von sechs Jahren? Seit den sechziger Jahren arbeitete Marta daran, auch für diese Kinder das Recht auf Bildung durchzusetzen. Sie befasste sich mit der Erzieherausbildung, der Gründung von Kindereinrichtungen, bereitete Gesetze vor, beeinflusste die Politik und sorgte für ein zunehmendes Bewusstsein der Öffentlichkeit für diese Fragen. All diese Aktivitäten, mit denen sie die Bildung der jüngsten Kinder fördern wollte, machten Marta zu einer wichtigen Persönlichkeit für viele Menschen; sie war diejenige, die immer half oder Aktionen zu Gunsten der Qualität der frühkindlichen Bildung in Gang setzte – der einzige Weg, die Rechte jedes Kindes zu respektieren.
Aus ihren Texten können wir viele Ideen für Gegenwart und Zukunft gewinnen. Für den Schluss meines Artikels habe ich eine dieser Ideen ausgewählt:
Die Pädagogik »besteht darin, die Überraschung in jedem Kind zu entdecken. Pädagogik kann nicht immer das Spiel vom Aufstellen und Beweisen von Hypothesen spielen, aber sie passt perfekt auf das Feld der Kreativität. Wenn Bildung ein universelles Recht ist, kann die Pädagogik, die diesem Recht dient, nicht auf dem »Olymp« der theoretischen Wissenschaften thronen. Sie muss sich vielmehr darauf festlegen, dass die Politik, die dieses Recht durchsetzt, solche Kreativität fördert. Mit dieser Festlegung und Hingabe schreibt die Pädagogik Geschichte, Geschichte der Menschheit.«
Es war charakteristisch für Marta Mata, dass sie das Entstehen von »KINDER in Europa« als Gastgeberin der ersten Treffen in ihrem Haus in dem Dorf Saifores unterstützte, auf denen das Magazin diskutiert und geplant wurde. Wir erinnern uns an sie in Dankbarkeit und Liebe, wir behalten sie als wahre Freundin aller Kinder in Europa in Erinnerung.
Peter Moss
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