Die Suche nach eigenen Strategien
Viele niederländische Kinder müssen jeden Tag drei Übergänge zwischen Institutionen bewältigen. Serv Vinders erklärt uns die Gründe dafür und wie Eltern und Gesellschaft dies einschätzen.
Niederländer mögen Ausflüge in andere Länder, um von dort zu lernen. So auch über die Arrangements der Kinderbetreuung und des Schulsystems. Ein Anlass zu reisen ist, dass das niederländische Bildungs- und Erziehungswesen neu gestaltet wird, weil die Gesellschaft sich rasch verändert und die Anschlussfähigkeit verbessert werden muss. Über den so genannten kontinuierlichen Verlauf für Kinder wird allerorten geschrieben und nachgedacht. Das Ideal ist die kindzentrierte Organisation mit sanften Übergängen zwischen Schule und Tagesbetreuung sowohl täglich als auch zu Beginn des Schuljahres.
Ein Ziel ist die intensive Zusammenarbeit zwischen der obligatorischen Grundschule, der Kindertagesbetreuung und anderen Institutionen in der jeweiligen Nachbarschaft, gern unter einem Dach. Die Regierung fördert diese Entwicklung. Obwohl schon einiges unternommen wurde, kann man noch keine qualitativ guten Projekte mit sanften Übergängen finden. Sind Gründe dafür zu entdecken? Wie läuft es im Allgemeinen in den Niederlanden?
Kindertagesbetreuung und Schulwesen in den Niederlanden
Bis vor kurzem galten überall in den Niederlanden die gleichen Schulzeiten für alle Kinder zwischen vier und zwölf Jahren, von morgens um 8.30 Uhr bis mittags um 12.00 Uhr und dann wieder von 13.30 Uhr bis 15.30 Uhr. Der Mittwoch war nachmittags frei und der Freitag manchmal auch. Die meisten Kinder gingen zum Essen nach Haus. Inzwischen organisieren viele Schulen zusammen mit den Eltern eine Betreuung.
Seit 2007 gibt es ein neues Schulgesetz, das den Schulen die Öffnung zwischen 7.30 und 18.30 Uhr vorschreibt. Sie sollen Kinderbetreuung nach Bedarf der Eltern anbieten. Um der Nachfrage überhaupt entsprechen zu können, arbeiten viele Schulen mit freien Trägern zusammen. Einige Schulen organisieren ein eigenes Angebot vor und nach dem Unterricht. Aus vielerlei Gründen aber gibt es noch Schulen, die gar nichts geändert haben, und am traditionellen Vormittags-Nachmittags-Modell festhalten.
Weit verbreitet ist in den Niederlanden ein Arbeitsmodell, bei dem Eltern teilzeitbeschäftigt sind auf zusammen 1,5 Arbeitsplätzen. Als Konsequenz daraus nutzt ein Kind durchschnittlich an drei – langen – Tagen pro Woche die Kinderbetreuung. An den beiden anderen Tagen bleibt einer von den Eltern zu Haus und bereitet das Mittagessen zu, was als sehr wichtig angesehen wird. Darum ist es so schwer, das Schulsystem zu verändern, obwohl es andererseits eine starke Bewegung für kontinuierliche Betreuung gibt.
Gesellschaftliche Veränderungen
Jeannette Doornenbal lehrt an der Hanzehoge-Schule in Groningen. Sie kennt die Entwicklungen, die Chancen und Nachteile der niederländischen Situation:
»Die Veränderungen in unserer Gesellschaft wirken sich auf das Aufwachsen der Kinder aus. Die traditionelle Familie, die wir noch aus den fünfziger und sechziger Jahren kennen mit dem arbeitenden Vater und der Kinder erziehenden Mutter, gibt es kaum noch. Häufig sind beide Eltern berufstätig, darum ist das tägliche Mittagessen zu Haus nicht mehr selbstverständlich. Die Kinder werden woanders betreut; sie haben längere Tage außerhalb und machen mehr Wechsel am Tag durch als früher. Schon von klein auf gehen sie in die Tagesbetreuung. Als Schüler besuchen sie morgens einen Hort und dann die Schule. Mittags essen sie im Hort, besuchen dann wieder den Unterricht und gehen danach entweder zurück in den Hort oder direkt in einen Verein.«
Der Wandel zu einer Wissensgesellschaft setzt Kinder vermehrt unter Druck, schon im Vorschulalter Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben. Wir wollen Zurückstellungen vermeiden. Darum wird das Aufwachsen in der Familie in mancher Hinsicht als nicht mehr förderlich angesehen, darum muss es ergänzt werden. Bei einem ständig wachsenden Anteil von Kindern werden Verhaltens- oder Erziehungsschwierigkeiten diagnostiziert. Die Familie verändert sich und braucht nun Tagesbetreuung, Elternberatung und Unterstützung.
Zusammenarbeit von Tagesbetreuung und Schule
Der lange und zerrissene Tag eines Kindes in den Institutionen führte auch zu der Idee, dass die Tagesbetreuung und die Schule zum Wohl der Kinder zusammen arbeiten und Übergänge sanft gestalten sollen. Allerdings gibt es keine eindeutigen Empfehlungen, wie das aussehen kann. Noch einmal Jeannette Doornenbal: »Charakteristisch für unsere Situation ist, dass wir kein klares Muster haben. Bei uns herrscht Vielfalt aufgrund unterschiedlicher Gesetze und Finanzierungsmodelle, die kaum miteinander zu vereinbaren sind. Auch schätzen wir Niederländer ja Vielfalt und Organisationsfreiheit. Hier tummeln sich etliche Personen und Organisationen mit eigenen Ideen und Konzepten, z.B. Initiativgruppen, Beratungs- und Forschungsinstitute und Wissenschaftler. Daher die vielen Modelle. Mein Eindruck ist trotzdem der, dass die ehedem getrennten Bereiche Bildung und Betreuung sich annähern. Nicht überall, doch auf vielfältige Art. Mindestens wird mehr darüber nachgedacht: Wie kann besser zusammengearbeitet und ein an der kindlichen Entwicklung orientiertes Angebot geschaffen werden?«
Serv Vinders ist Vorstand bei Childcare International in den Niederlanden Kontakt:
Jeanette Doornenbal lehrt an der Hanzehoge Schule in Groningen (Niederlande)
Kontakt:
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Kinder in Europa 22/12 lesen.
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