Zur Prävention geschlechtsbasierter Gewalt
Welche Möglichkeiten, aber auch Diskrimierungen ein Kind aufgrund seines Geschlechts erfährt, ergibt sich nicht allein daraus, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist. Gerard Coll-Planas plädiert dafür, Geschlecht stets im Zusammenhang mit anderen Ungleichheitsverhältnissen zu betrachten.
In Katalonien hat das Thema Gender Einzug in die Bildungsinstitutionen gehalten, und die Fortschritte im Kampf um Geschlechtergerechtigkeit sind unbestritten erkennbar. Dennoch müssen wir die Grenzen der pädagogischen Interventionen wahrnehmen. Meist handelt es sich hier um einmalige Veranstaltungen, die immer noch zu sehr von der Initiative einzelner Pädaog:innen abhängen. Sie werden von externen Akteur:innen durchgeführt – die Einrichtung steht nicht als Ganzes hinter ihnen. Des Weiteren verfolgen diese Veranstaltungen ein binäres Verständnis von Geschlecht, d.h., Geschlechtsidentitäten jenseits von Mann und Frau werden nicht einbezogen. Außerdem sind die Diskurse über geschlechtsbasierte Gewalt erwachsenenzentriert und erreichen viele Schüler:innen nicht. Nicht zuletzt wird das Thema Geschlecht unabhängig von anderen Perspektiven der Ungleichheit behandelt, was zu weiteren Vorurteilen und Ausschlüssen führt. Von welchen Perspektiven sprechen wir hier? Worin beseht die Herausforderung, Intersektionalität im Kampf gegen Sexismus umzusetzen? Zuerst müssen wir diese Frage beantworten:
Was meinen wir, wenn wir von Geschlecht sprechen?
Schauen wir uns in einer zehnten Klasse um. Amaias Mitschüler:innen bezeichnen sie als »Schlampe« oder »Hure«, weil sie der Meinung sind, dass sie zu enge Kleidung trägt und mit zu vielen Jungen Sex hat. Katiba wird beschimpft, weil sie einen Hidschab trägt und nach Ansicht der anderen damit zu verhüllt ist. Eric wird als »Schwuchtel« beschimpft: wegen seiner Art zu gehen, weil er sich bei den Mädchen wohler fühlt als bei den Jungs und kein Interesse an Sport hat. Xenia ist gestresst, weil sie Jan ein Foto von sich mit freiem Oberkörper geschickt hat, als sie zusammen waren. Jetzt hat sie Angst, dass er es an ihre Mitschüler:innen weiterschickt.
All diesen Situationen ist gemeinsam, dass sie zwar nicht in die Kategorie »sexuelle oder sexistische Gewalt in Paarbeziehungen« passen, aber durchaus als Ausdruck geschlechtsbasierter Gewalt verstanden werden können. Das führt uns wieder zu der Frage: Was meinen wir, wenn wir von Geschlecht sprechen?
Durch den Feminismus zieht sich aktuell eine tiefe Spaltung. Auf der einen Seite gibt es Feminist:innen, die ihre Analysen und Forderungen auf den Kategorien Frau und Mann aufbauen. Sie warnen, dass Frauenfeindlichkeit nicht mehr erkannt und bekämpft wird, wenn weitere Geschlechtsidentitäten ins Spiel kommen. Auf der anderen Seite stehen Feminist:innen, die der Meinung sind, dass die ausschließliche Konzentration auf diese zwei Kategorien die binäre Logik reproduziert und andere Geschlechter ausschließt.
Meine Kolleginnen Maria Rodó-Zárate, Gloria García-Romeral und ich sind der Meinung, dass es sinnvoll ist, einerseits die Gültigkeit der Kategorien Frau und Mann anzuerkennen: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung identifiziert sich damit, und sie helfen uns, viele Ungleichheiten, Diskriminierungen und Gewalt aufzudecken. Obwohl wir sie als soziale Konstrukte verstehen, die wir überwinden wollen, wollen wir sie nicht vorschnell löschen, denn das würde bedeuten, viele Unterdrückungen unsichtbar zu machen, z.B. Männergewalt und sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Das scheint uns vereinbar mit der Ansicht, Geschlecht nicht auf diese zwei Kategorien zu beschränken. Vielmehr wollen wir weitere Identitäten einbeziehen, die im Rahmen des herrschenden Geschlechtersystems auftauchen, und die verschiedenen Formen von Gewalt gegen sie analysieren. Aus unserer Sicht bedeutet das nicht, dass die Kategorien Frau und Mann oder die Einsicht in ihre patriarchale Hierarchie aufgehoben werden.
Wie prägt diese Position das Verständnis von geschlechtsbasierter Gewalt an Schulen? Meine Kolleginnen und ich definieren Geschlecht nicht binär. Wir betrachten Geschlecht zum einen als patriarchales System, das Frauen aufgrund ihrer Position im Geschlechtersystem Gewalt antut. Als inhärent gewalttätiges System weist es darüber hinaus weitere Dimensionen, Normen und Formen der Unterdrückung auf, die wir in der folgenden Tabelle zusammenfassen.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa heute 04/22 lesen.